Persien Reise 1964

Mit nonstop Muenchen - Kavalla begann es, wenn man von den Vorbereitungen absehen will. Bis Kayseri bedeutete die Anreiseroute fuer uns kein Neuland, weshalb wir hier moeglichst wenig von unserer knapp bemessenen Zeit opfern wollten, um fuer den Rest der Reise umso mehr davon zu haben. Die Muedigkeit und der Wunsch nach einem Bad im Meer, haben bei Kavalla den Zeitpunkt fuer die erste Fahrtpause bestimmt.

Wir waren fuer pausenloses Fahren eingerichtet. Nur der Fahrersitz unseres VW besass noch eine Lehne, ansonsten hatte ich alles zur Liegeflaeche gemacht. Inge und ich fuhren und schliefen abwechselnd,  waehrend Matthias, unser Sohn, dauernd schlafen konnte. Istambul, Ankara, Kayseri - alte Bekannte - wurden passiert. Auch danach ging es noch recht flott weiter, weil wir gerade so schoen in Schwung waren.

Erst ein Bauernsohn, der uns einlud sein Dorf zu besuchen, vermochte unser Reisetempo zu bremsen. Wenn auch unsere Zeit sehr knapp bemessen war, jetzt hiess es Augen auf, jetzt musste einfach Zeit fuer kleine Abstecher und Fahrtunterbrechungen vorhanden sein. Doch schon waehrend der Zufahrt zum Dorf waere ich am liebsten umgekehrt, wenn ich gekonnt haette. Unser Wagen drohte auf der stark abschuessigen Strasse zu kentern. Wenden unmoeglich. Schliesslich schafften wir es doch. Unser kleiner tuerkischer Freund meinte anerkennend : "Oto gutt."

Wir wurden mit sprichwoertlicher tuerkischer Gastfreundschaft aufgenommen. Auf dem Lehmfussboden eines Raumes, der anscheinend normalerweise als Schlafzimmer diente, wurden uns Brotfladen mit Ziegenkaese und Tee serviert. Vorher war uns zu Ehren, unter starker Staubaufwirbelung gekehrt worden. Das ganze Dorf sammelte sich im Lauf der Zeit um die fremden Gaeste zu sehen. Der Gastgeber war maechtig stolz. Als besonderes Plus zaehlte, dass es sich um Alemanns handelte. Eine Wertschaetzung, die durch die Waffenbruderschaft im ersten Weltkrieg begruendet ist.

Mit uns im Raum befanden sich nur Maenner und die Mutter des Gastgebers, die den Tee auftrug. Die schwangere Ehefrau lugte, mit der in aller Welt typischen weiblichen Neugier, verstohlen durch den Tuerspalt. In der vorderen Tuerkei, und weiter hinten in den Staedten, sind die islamischen Sitten schon stark aufgelockert. Auf abgelegenen Doerfern im Osten haelt man sich noch daran. So gab die Ehefrau beim Abschied nur meiner Frau die Hand.

Die Frauen sind in dieser Gegend z.T. noch verschleiert, nur die Aufgeschlosseneren tragen Schleier mit freiem Gesicht. Ein paar vorsorglich mitgefuehrte Gastgeschenke und eine Schuerze voll Aprikosen, bildeten den Abschluss des Aufenthaltes.

Ein Besuch bei einer Unternehmerfamilie im ca. 20 km entfernten Elazig, zeigte einen starken Kontrast. Hier lief die mit 15 Jahren schon sehr sexy entwickelte Tochter mit durchsichtiger Nylonbluse und einem Super-BH herum, wie das auch bei unseren jungen Maedchen ueblich ist.

Nach der Besichtigung kultureller Staetten in Erzerum und einigen sehnsuchtsvollen Blicken zum Ararat, begaben wir uns in das Land des Shahs. Es war nicht zu verkennen, denn er blickt uns gleich in den ersten Ortschaften in Form grosser Statuen an.

Die ersten 800 km persischer Strassen waren eine Ansammlung von Schlagloechern. Es wurde gerade an der Asphaltierung gearbeitet. Inzwischen ist diese abgeschlossen. Inge meinte gelegentlich, sie waere einer Gehirn-erschuetterung nahe.

Ein besonderes Erlebnis bot sich uns in Taebritz. Unser Luftfilter hatte schon viel Staub geschluckt und auch die Batterie war nahezu trocken. Ein Schild am Ortseingang wies zu einem Autoservice. Wir erreichten einen staubigen Hof in dem es nichts gab als ein Loch mit zwei Profileisen darueber. Die Montagegrube.

Wir waren die einzige Kundschaft, der Besitzer sein einziger Arbeitnehmer. Somit konnte die Arbeit auch gleich beginnen. Als einziges Inventar stand ein abgewracktes Auto herum, das den Rest seiner Fahrfaehigkeit wahrscheinlich waehrend der Reparatur eingebuesst hatte. Werkzeug war keines vorhanden. Ich haendigte zunaechst mein Bordwerkzeug aus und erklaerte meine Wuensche.

Der Geschaeftsinhaber nahm zunaechst den Luftfilter insg. ab, und setzte sich dann ins Auto. Ich sprang schnell zu. Wollte ich doch mein Fahrzeug gern wieder sehen. Ich nahm an er wolle nur nebenan destilliertes Wasser holen, sonst haette ich ihn auf der staubigen Strecke nicht ohne Filter fahren lassen. Es wurde eine lange Fahrt. Der Effekt der Filtereinigung war durch den nunmehr direkt angesaugten Staub schon im Voraus dahin.

Nach kurzer Strecke stellte ich fest, dass der Herr Spezialist auch nicht chauffieren konnte. Wir wechselten die Plaetze. Ich fuhr nach seinen Richtungsangaben. Er suchte verschiedene Haeuser auf, kam allerdings immer ohne Ergebnis wieder heraus. Scheinbar gab es nirgends destilliertes Wasser.

Ich dachte an meinen Motor ohne Filter und den vielen Staub. Waere nun lieber ohne Service weiter gefahren und versuchte das dem Perser klar zu machen. Er verstand nicht, oder wollte nicht verstehen. Wir waren schon um so viele Ecken gefahren, dass ich den Rueckweg allein nicht gefunden haette. So fuegte ich mich in mein Schicksal.

Endlich kam er mit etwas in den Haenden aus einem Haus. Meine Hoffnung war schnell dahin. Es handelte sich um Mutterschluessel. Auf meine Frage was das soll, erklaerte er, er muesse den Motor zerlegen. Danach haette mein schoenes Auto wahrscheinlich als zweites Wrack seinen Hof geziert.

Jetzt schlug bei mir die Sicherung durch. Mit beiden Haenden packte ich den Spezi und schuettelte ihn erst mal kraeftig durch. Ich schrie ihn auf deutsch an, die Schluessel schnellstens zurück zu bringen und mich zu Frau, Sohn und Luftfilter zu dirigieren. Unglaublich - das hat er verstanden. Er zitterte noch als wir seinen "Werkhof" erreichten. Er getraute sich auch nicht Geld zu verlangen. Nun tat er mir leid. Ich gab ihm etwas, obwohl er gar nichts brauchbares geleistet hatte. Wir fuhren
ohne Service weiter.

Das war eine kleine Episode waehrend der Anreise. Wir haben noch mancherlei aehnliches erlebt. Langweilig wurde es nie. Die Strecke bis Teheran schafften wir in sieben Tagen. Wenn wir etwas anschauen wollten benutzten wir die Morgenstunden. Waehrend des Tages bot uns der Fahrtwind eine angenehme Kuehlung. Die Fahrzeit zog sich dann meist bis gegen Mitternacht hin.

Um Uebernachtungsmoeglichkeiten haben wir uns wenig gekuemmert. Die Schlafsaecke wurden neben dem Auto entrollt. Wir brauchten nur wenige Minuten um in tiefen Schlaf zu versinken. Kurz vor Teheran hatten wir das auch so gehandhabt, doch schon morgens vier Uhr wurden wir von der Polizei geweckt. Ein Hauptmann war es, der uns aufforderte unser Zeug zu verpacken und seinem Moped zu folgen.

Jetzt wurde es spannend. Vielleicht stand eine Verhaftung bevor, weil man an der Strasse nicht naechtigen darf oder so. Leicht haette ich davon fahren koennen. Die Zahlen unserer Autonummer waren dem Polizisten sicher nicht gelaeufig. Ich wollte nicht reissaus nehmen, schliesslich hat ein normaler Buerger nicht jeden Tag die Gelegenheit verhaftet zu werden.

Im 30 km/h Tempo ging es die Strasse entlang. Vor einem abgelegenem Haus war dann stopp. Das war aber zu unserer Ueberraschung keine Polizeistation, es war ein Teehaus. Wir mussten uns die Haende waschen, und durften dann an einem der Tische Platz nehmen. Ein Kellner brachte Rosenmarmelade, Honig, Butter, Tee und Brotfladen. Matthias dem das nicht anstand bekam gekochte Eier. Was sollte das eigentlich ?

Bald fanden wir die Begruendung. Der Polizeihauptmann erklaerte uns, dass das Schlafen am Strassenrand gefaehrlich sei und dass kurze Zeit vorher zwei Amerikaner ihr Leben verloren. Die Einladung war nur Basis fuer moeglichst harmonischen Gespraechsverlauf. Nette Braeuche ! Unser "Freund und Helfer" koennte sich ein Beispiel nehmen. Abschliessend, wie sollte es auch anders sein, kamen dann noch private Fragen, wie z.B. ob wir ein Fernglas zu verkaufen haetten, was uns der Herr Polizist gern als Privatmann abgekauft haette.

In Teheran musste unser Kaefer in die VW Werkstatt am Ortseingang. Ein Stossdaempfer war hin und einiges mehr. Um die Zeit zu nutzen fuhr ich mit Matthias per Taxi zum Olympischen Komitee. Die Anschrift wurde mir in der Werkstatt aufgeschrieben. Ich hatte erfahren, dass der Leiter der Mountaineering Federation deutsch spricht. Es war Freitag, was in Persien Sonntag heisst, und somit war niemand da. Das Taxi war weg und die Adresse der VW Werkstatt wusste ich auch nicht.

Zweimillionenstadt im Flachbau und das in der Mittagshitze im August. Keine Ahnung bezueglich Rueckweg, getauschtes Geld nahezu verbraucht. Nun musste erst mal eine Wechselstube her, um dem Matthias, der mit seinen 11 Jahren wie eine Trockenpflaume an meiner Hand hing, etwas trinkbares kaufen zu koennen.

Das Glueck schien uns hold zu sein. Wir stiessen durch Zufall auf die deutsche Botschaft. Ich fragte ob man mir den Weg zum VW Generalservice erklaeren koennte. "Da muessen sie morgen kommen, heute ist Feiertag" war die Antwort. Bei solch hilfsbereiten Leuten sind unsere Steuergelder gut angelegt. Jedes weitere Wort war wohl ueberfluessig.

In einem Buero der BOAC konnte ich spaeter das Gewuenschte erfragen, waehrend Matthias draussen unseren Pass in eine Kellerluke gleiten liess. Die Herren in diesem Buero waren freundlicher als die Angestellten der deutschen Botschaft. Sie schafften Abhilfe -  trotz Feiertag.

Quartier fanden wir bei Herrn Konrad Nieschlag von der deutschen Schule. Ein sehr freundlicher Mann, mit dem ich gleich eine Besteigung des Demavend verabredete. Am naechsten Tag bekam ich Kontakt zu den persischen Bergsteigern, mit denen ich einen Versuch zur Erstdurchsteigung der Alam Kuh Nordwand besprach.

Danach rollten wir am Morgen des  04.08.1964  in  Richtung  Demavend.

Etwa eine Stunde nachdem wir Inge mit dem Auto nach Teheran zurueck geschickt hatten, stiessen wir auf Nomadenzelte. Dort konnten wir nach langem Handel ein Pferd fuer unser Gepaeck mieten. Wir waren zu dritt. Konrad Nieschlag hatte seinen Freund Krone mitgenommen.

Viele interessante Dinge gab es im Nomadenlager zu sehen. So z.B. ein aus drei Baumstaemmen und etlichen Stricken gefertigtes Gestell, an dem eine mit Milch gefuellte vernaehte Eselshaut aufgehaengt war. Die Nomaden pendeln diesen Container dann so lange hin und her, bis als Endergebnis Butter, Quark oder etwas Aehnliches entsteht. Appetitlich sah das allerdings nicht unbedingt aus.

Viel Spass machten mir die Nomadenkinder, die in ihren bunten, dreckig zerschlissenen Sachen recht munter und zufrieden einhertrollten. Fuer jedes Foto verlangten sie Geld. Als mein Kleingeld aufgebraucht war, versuchten sie mich durch Traenen zu weiteren Fotos anzuregen.

Wir konnten das Pferd sehr weit mitfuehren, bevor wir unser Gepaeck selber auf den Ruecken nehmen mussten. In ca. 4500 m Hoehe schlugen wir unser Biwak auf. Der Normalweg am Demavend fuehrt ueber Geroell und teilweise ueber Buesserschnee. So liess auch der Gipfel am Folgetag nicht lange auf sich warten.

Beim Abstieg musste ich mich beeilen. Inge wollte mich am naechsten Morgen an der Strasse abholen, damit ich rechtzeitig mit den Persern zusammentreffen konnte. Meine Kameraden hingegen gestalteten ihren Abstieg geruhsamer.

Im Daemmerschein traf ich zwei Nomadenteenager, die ein Gespraech mit mir anfangen wollten. Ich habe nichts verstanden. Sie haben herzlich gelacht. Vermutlich waren es unanstaendige Witze, was sie mir da erzaehlen wollten. Einen auf dem offenem Feuer gebackenen Brotfladen und etwas gelb schmutzigen Schnee, den sie als Fluessigkeitsvorrat in einem Erdloch aufbewahrten, bekam ich als Wegzehrung. Ich muss wohl recht arm ausgesehen haben. Den Schnee liess ich spaeter unauffaellig aus der Hand gleiten.

Die Nacht verbrachte ich am Strassenrand, wo Inge mich am Morgen abholte. Am 06.08.64 verliessen wir, mit total ueberladenem Wagen, Teheran in Richtung Rudbarak. In diesem huebschen Gebirgsdorf am Eingang zum Tal des Alam Kuh Baches, hat die Mountaineering Federation eine nette kleine Huette, die wir bei stroemenden Regen erreichten.

In behaglicher Geborgenheit sassen wir mit unseren persischen Freunden, Amir Alai, Mohsem Mofidi, Ali Aminion und Machmut Schabestari auf den Teppichen am Fussboden, waehrend der Huettenwirt Safar Ali uns gebackene Forellen mit Reis und Huhn servierte. Beim anschliessenden Tee wurde in vier Sprachen, als auch mit Haenden und Fuessen, lebhaft das Programm des folgenden Tages diskutiert. Allzuviel bekam ich nicht mit von dem Kauderwelsch, weshalb ich mich restlos dem Organisationstalent meiner persischen Gefaehrten anvertraute.

Im Morgengrauen trabten neun stattliche Maulesel vor der Huette an. Drei davon wurden mit Gepaeck aehnlich ueberladen wie am Vortage mein Auto, sechs waren fuer uns zum Reiten da. Meinen heimlichen Gedanken - wer soll das bezahlen - musste ich gewaltsam unterdruecken. Konnte nicht die bange Frage nach dem Preis das ganze Unternehmen zum Erliegen bringen?

Also aufgesessen und schon setzte sich der Zug in Bewegung. Fuenf Stunden dauerte der Ritt, einschliesslich einer kleinen Teepause in Vandarbon. Dann hiess es absitzen. Die Kameraden zerrten einen Sack voll Huehner aus dem Gepaeck, und bald begann der Kocher zu surren.

Nach drei Stunden Fussmarsch errichteten wir unsere Zelte bei  Patakht, unweit der letzten kleinen Huette. Unser Gepaeck brachten die Mulis hierher. Rechterhand konnten wir jetzt den Tacht i Suleimann und weit im Hintergrund erstmalig den Alam Kuh sehen.

Am 08.08.64 Aufbruch zum Basislager. Schwer bepackt setzten wir uns in Bewegung. Zwei als Traeger gemietete Hirten gingen voran. Ueber losen Moraenenschutt stapften wir empor. Inge machte die Hitze zu schaffen. Gegen Mittag fanden wir einen geeigneten Lagerplatz. Ali und Machmut gingen zurueck um restliche Gepaeckstuecke zu holen, waehrend wir  uebrigen uns mit dem Aufbau des Lagers befassten.   

Am Spaetnachmittag stieg ich zur Erkundung in die Wand ein, bis wenige Meter unter die Umkehrstelle einer frueheren englischen Expedition.

Am Morgen des 09.08.64 kroch ich gegen 4 Uhr aus dem Zelt. Es war bitter kalt und ein scharfer Wind pfiff ueber den Gletscher. Ein Wetter fuer harte Burschen, von denen ich keiner bin. Ich kroch zurueck in meinen warmen Schlafsack. Gegen 5 Uhr entschloss ich mich dann den Amir zu wecken. Irgendwann musste das ja sein. Die Rucksaecke hatten wir am Vorabend gepackt. Nach kurzem Imbiss gingen wir los. Jetzt stellte sich heraus, dass Amir seine Steigeisen vergessen hatte. Doch das konnte uns nun nicht mehr aufhalten. Die kurzen Eisstrecken mussten auch mit Hangelseil und Zug ueberwindbar sein.

Mohsem und Ali begleiteten uns noch bis in die Hohlkehle wo sich der Gletscher steil in die Wand aufschwingt. Hier legten wir das Seil an. Eigentlich waere das noch nicht noetig gewesen, aber fuer Amir ohne Steigeisen war es besser so. Dann ging es los, teils ueber schuttbedeckte, teils ueber blanke Eisplatten die noch hart gefroren waren, der Steilwand entgegen.

Die Sonne war inzwischen in steiler Kurve am Himmel emporgefahren. Die beissende Kaelte ging unvermittelt in eine drueckende Hitze ueber. Mit allen Kalibern setzte der Steinschlag ein. Hinter groesseren Bloecken Deckung suchend pirschten wir uns zu einer ueberdachten Nische rechterhand des Risseinstieges.

Der Steinschlag steigerte sich zu einer Heftigkeit, die ich vorher nicht erlebt habe. Steinschlagzonen sind Belastungen zwischen Wollen und Angst. Wir kamen nur langsam voran. Amir ohne Steigeisen tat sich hart und wir waren am Seil. Am Vorabend brauchte ich nur ein Viertel der Zeit fuer diese Strecke.

Endlich erreichten wir den eigentlichen Beginn der Kletterei. Eine Linksquerung an losen Platten leitet hier zum Rissbeginn. Ein U-Haken linkerhand markiert den hoechsten Punkt der Englaender. Ein Todesfall durch Steinschlag zwang sie dort zur Umkehr.

Ein kurzes Kaminstueck oberhalb bietet Steinschlagschutz. Danach muss ein kurzer Ueberhang ueberwunden werden, bevor die Wand sich zuruecklegt. Die ungeschuetzten Stellen habe ich durchhastet so gut mir das moeglich war. Fuer die Standplaetze suchte ich, soweit es moeglich war, geschuetzte Stellen aus.

Nach zwei weiteren Seillaengen erreichten wir eine Hoehle. Hier waren wir zunaechst einmal sicher. In Ruhe konnten wir Brotzeit machen und unsere Kehlen befeuchten, soweit unser Wasservorrat dies zuliess. Wir sassen im Schatten, waehrend draussen die Luft in der sengenden persischen Hitze vibrierte. Vor uns eine oede vertrocknete Gebirgslandschaft, ganz anders als daheim. Ausser dem kleinem Gletscher am Wandfuss kein Eis, keine verwaechteten Grate, aber auch kein Wald wie wir das von den Ostalpen her kennen. Wir sahen nur Schutt und dazwischen ganz klein am Moraenenrand die Zelte mit den Kameraden.

Der folgende Hoehlenueberhang bot allerhand technische Schwierigkeiten, die ich zum Teil mit Hilfe von Haken und Trittschlingen ueberwinden musste. Anschliessend ein sehr ungeschuetzter Nachholeplatz. Die wie Geschosse vom Gipfelgrat herunterpfeifenden Steine zerbarsten, weisse Spuren hinterlassend auf den Absaetzen neben mir. Mit Sehnsucht erwartete ich Amirs erscheinen.

Als sich etwas weiter oben eine Verschneidung vor uns auftat, in die wir weiter hineinschlupfen konnten, atmeten wir auf. Laenge um Laenge ging es nun in freier, ziemlich schwieriger Kletterei empor. Die Sache spielte sich recht ungesichert ab. Leider hatte Amir fast alle Haken im Fels belassen, sodass ich mit dem verbliebenem Material sehr sparsam umgehen musste.

Der Weiterweg sah einigermassen friedlich aus, was mich optimistisch stimmte. Die Praxis lehrte es anders. Mehrere stark heraushaengende Verengungen boten mancherlei Schwierigkeiten und mein prall gefuellter Rucksack erwies sich als sehr hinderlich. Amir, fuer den Klettereien dieser Schwierigkeit auf grosse Laenge recht ungewohnt waren, ermuedete zusehends. An schwierigen Stellen fixierte ich aus diesem Grunde eines unserer beiden Seile, um ihm zusaetzlich einen geflochtenen Griff zu bieten.

Verstaendigungsschwierigkeiten, kleiner Seilfitz etc. waren weitere Erschwernisse. Aber staendig trieb es mich vorwaerts. Nicht der Drang eine Erstbegehung durchzufuehren war der Antriebsmotor, sondern die vielen die Sicht versperrenden Verengungen.

Ich wollte endlich den Rest des Weges uebersehen. Der Hakenmangel zerrte an meinen Nerven. Bei jeder Seillaenge nahm unser klaeglicher Hakenbestand ab. Amir war stark abgekaempft. Er war nicht mehr in der Lage die Eisen aus dem Fels zu schlagen. Die Ueberwindung der Schwierigkeiten beanspruchte ihn zu sehr.

Bis zum Einbruch der Dunkelheit waren wir taetig. Die letzte Laenge kam Amir nicht nach. Er wollte nicht in der Dunkelheit klettern. Nachdem ich mich zu ihm heruntergeseilt hatte, richteten wir unser Biwak auf einem Klemmblock im Kamin ein.

Der Platz war knapp. Ich musste meine Fuesse zusaetzlich in Trittschlingen stellen. Es wurde ziemlich frisch, aber ich habe schon wesentlich kaeltere Biwaks erlebt. Amir als Suedlaender hatte grosse Probleme mit der Kaelte. Er fror jaemmerlich.

Bei Tagesanbruch brachen wir auf. Nun ging es ueber die linke Begrenzungswand hinauf, immer in freier ausgesetzter Kletterei. Amir war durch das Biwak noch mehr entkraeftet. Difficult und water sind zwei Worte die ich nun nach jeder Seillaenge von ihm hoerte. Obwohl ich Verstaendnis fuer seinen Durst hatte, konnte ich ihm unseren letzten Schluck Wasser hier noch nicht geben. Er haette danach nicht weniger Durst gehabt, aber unsere letzte Reserve waere verbraucht gewesen.

Dann endlich hatten wir die Schwierigkeiten hinter uns. An einer Knotenschlinge machte ich Stand. Unsere Haken waren fast aufgebraucht. Einer Rippe folgend kletterte ich nach links. Unterwegs konnte ich zwei duerftige Haken anbringen. Danach erreichte ich ein schmales Schuttband. Alles in dieser Gegend ist locker und sandig. Wahrscheinlich ist das die Ecke, von der der Wind die losen Steine in die Wand blaesst.

Um einen, hinter einer hohl klingenden Rippe verklemmten Stein, konnte ich eine Knotenschlinge auf Verdacht legen. Das war etwas besser als nichts. Ich ging noch ein paar Schritte nach links, dann sah ich den Grat von weit unter mir heraufziehen. Das Band fuehrt hinueber, aber ich fand keine Moeglichkeit zum nachholen. Drei Cassinhaken von je 2 cm waren mein letzter Bestand. Leider ist soetwas in diesem Gelaende nicht verwendbar.

Dieses Gelaende ist etwas geneigt und bietet keine grossen Schwierigkeiten, doch alles ist Schutt, alles rutscht. Zwei lange Profilhaken und ich haette die Nachhole riskiert, aber ich bin kein Selbstmoerder.

Ich versuchte es nach oben. Ein kleines Stueck, dann sperrten drei gegeneinander verklemmte Felsbloecke von ca. 3 Meter Hoehe den Aufstieg. Ich haette sie unguenstig von aussen belasten muessen. Aber was waere, wenn sich einer dieser Brocken aus dem Gefuege loest. Entsteht dann ein kleiner Bergrutsch. Wir waeren mitten drin gewesen. Der letzte duerftige Haken sass weit unter mir. Kurz ueber mir sah ich eine Wandfalte mit einem Schartel im Grat. Leider konnte ich nicht sicher feststellen, ob das der Gipfelgrat oder nur eine Sichtbegrenzung ist.

Gleichgueltig! Wir hatten alles aufgebraucht. Ich entschloss mich zum Rueckzug. In der Route steckten all unsere Haken. Wir brauchten nur die Seile durchziehen. Ueber mir nur der klarblaue Himmel Persiens. Die Mittagssonne brannte mir unbarmherzig heiss auf den Schaedel und doerrte den letzten Geist aus.

Langsam und vorsichtig querte ich nach rechts zu Amir. Hier war der Fels zwar steiler, aber auch fester. Ich unternahm einen letzten Versuch. Ein Tritt brach mir aus und anschliessend ein Griff. Konnte es gerade noch mal ermachen. Dann ging ich schraeg rechts empor und erreichte einen kleinen Schneefleck mit zusammengepappten Splitt. Meine drei letzten extrem kurzen Cassinhaken konnte ich in einer Ritze schlecht und recht unterbringen. Fuer einen Stand war das zu wenig.

Die eigentliche Wand war durchstiegen, oder auch nicht. Aber wir kamen aus diesen Bruchschlamassel am Gipfelgrat nicht heraus, kamen nicht auf die andere Seite. Ich wusste nicht wo der Abstieg liegt und was wir davon zu erwarten hatten. Den Gipfel haben wir nicht betreten. Muss auch nicht unbedingt sein. Wir hatten ein grosses Erlebnis. Das sollte  nicht das Letzte sein. Eine Loesung musste her, und die hiess Abstieg ueber die Aufstiegsroute.

Jetzt war das Wichtigste mit gesunden Knochen das Tal zu erreichen. Ich verband meine drei Haekchen mit einer Perlonschnur und rutschte vorsichtig zu Amir hinab. Er, der meine letzten Manoever mit stoischer Ruhe ertragen hatte, schien mich nicht mehr zu verstehen. "I am sorry", sagte er, und fuegte sich kopfschuettelnd in sein Schicksal.

Ich versuchte ihm alles zu erklaeren. Die Sprachschwierigkeiten waren zu gross. Wir sprachen immer schneller, immer lauter und verstanden uns immer weniger. Schliesslich seilten wir ab.

Will hier eine Erklaerung dazu geben. Amir der natuerlich in seinem Heimatgebirge die bessere Ortskenntnis besass wusste, dass direkt hinter dem Grat den wir erreicht hatten der normale Abstieg ueber die Suedflanke hinabzieht. Das ist ein ganz einfacher Schutthatscher ohne Gefahr und Schwierigkeit. Zuletzt ueber einen kleinen Sattel sind es fuenf Stunden bis zum Gletscher auf der Nordseite.

Die Abseilerei verlief nahezu reibungslos. Ein Block der sich loeste waere uns beinahe noch zum Verhaengnis geworden. Ich konnte ihn fuer kurze Zeit mit aller Kraft gegen einen Verschneidungswinkel druecken, und dem Amir der eine Laenge unter mir stand zurufen, er solle die Seile zusammenraffen. Der verstand mich wieder mal nicht. Konnte den Stein kaum noch halten als er endlich begriff. Dann donnerte der Brocken in die Tiefe. Ausser ein paar Schrammen an Amirs Hand ging alles gut.

Als wir die Hauptsteinschlagzone erreichten war es windstill, und die Wand lag im Schatten. Begeisterter Empfang bei den Kameraden auf dem Gletscher. Umarmungen, Kuesse und Jubel. Wir waren von verschiedenen Stellen beobachtet worden, z.T. mit Fernglaesern. Es waren gerade Feiertage in Persien, und einige persische Bergsteiger, sowie ein Franzose und zwei Englaender befanden sich im Alam Kuh Gebiet.

Drei persische Bergsteiger waren ausserdem ueber die Steinerroute aufgestiegen. Sie hatten uns am Gipfelgrat erwartet und gesehen. Sie hatten auch gerufen und sich dann gewundert, dass wir ploetzlich wieder verschwunden waren.

Die Meldung, dass wir die Wand durchstiegen hatten, war inzwischen per Laeufer nach Rudbarack, und per Telefon weiter nach Teheran zur Mountaineering Federation gelangt. Allgemein herrschte die Meinung, wir haetten uns den langen Schutthatscher sparen wollen. Ali meinte, ich haette gleich den ersten Abstieg ueber die Wand durchfuehren wollen.

Sonniges Gemuet !

In Teheran wurde die Tour mit suedlaendischem Temperament und grosser Herzlichkeit gefeiert. Blumen, Einladungen, Geschenke, Glueckwuensche bis zur Abfahrt. Echte aufrichtige Freude unter Bergkameraden. Kein Rummel ! Keine Debatten, ob mit oder ohne Gipfel - der Weg war Ziel !

Mit der Durchsteigung dieser Wand war unsere Fahrt noch nicht beendet. Der kulturelle Teil sollte nicht zu kurz kommen. Wir konnten die grossen Bauten der alten Perserkoenige in Persepolis bewundern, und auch die herrlichen Moscheen von Isfahan. Abstecher zum Kaspi, zum Van See und zum Schwarzen Meer folgten auf der Heimfahrt.

Verbeulte Kotfluegel, primitive Werkstaetten mit guten Handwerkern, endlose Debatten mit Teppichhaendlern und Bruederlichkeitsszenen mit Einladungen bei Dorfbewohnern wechselten in bunter Folge. So kam auch der Abend an dem wir wieder den Bosporus ueberquerten. Wehmuetig schauten wir zurueck zu den Laendern die uns so viele Erlebnisse geschenkt hatten, zum Kontinent Asien, der so viel Ruhe ausstrahlt und so viele Raetsel aufgibt.

Harry Rost, geschrieben Oktober 1964
 

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updated  02.05.14

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