Bergtouren und Tourenberichte

Lawine am Ortler

Pfingsten 1973. Eigentlich wollten Harry und ich ins Engadin zum Piz Roseg. Aber der Wetterbericht war nicht gut, und so entschieden wir uns feur ein Ziel in der Ortlergruppe. Auf der Hintergrat-Huette trafen wir zwei Burghausner Freunde – Vater und Sohn -, die zum Hintergrat wollten, sich aber spaeter entschlossen, auch zur Minnigerode-Rinne zu gehen.

Es hatte viel Neuschnee. Als wir die Huette verliessen, war es warm, der Schnee nass und faul. Eigentlich waren die Verhaeltnisse fuer unser Vorhaben nicht recht geeignet. Aber wir gingen los. Die Schneewuehlerei war beschwerlich und zeitraubend. Der Himmel war bedeckt, und so hofften wir, dass die Eiswaende ruhig bleiben.

Nach dem langen Gletscherhatscher suchten wir den Einstieg in die eigentliche Rinne. Erst als der Nebel aufriss, konnten wir fuer einen Moment die richtige Stelle erkennen. Wir ueberschritten die Randkluft und kamen nun auch einigermassen zuegig voran. Dann aber aenderte sich das Wetter. Es klarte ploetzlich auf, und die Sonne brannte heiss auf den Gletscher herab. Sofort kam Leben in die Wand. Von allen Seiten donnerten Lawinen mit viel Getoese herab.

 

In der Minnigerode-Rinne.

Harry hielt sich zunaechst im Schutz der Felsen zwischen der Route zum Hintergrat und der eigentlichen Minnigerode-Rinne. Hier trennten wir uns von den Burghausner Freunden, denn der Sohn draengte seinen Vater zum Abzweigen in Richtung Hintergrat.

Vor Lawinen im steilen Gelaende hat Harry nicht sonderlich viel Respekt. Es ist da schon manches Mal was ueber ihn hinweggerutscht. Wichtig ist, dass der Stand stabil ist, meint er. Seit seinem Abenteuer in der winterlichen Watzmann-Ostwand glaubte er sowieso, ein Allheilmittel gegen Lawinen gefunden zu haben.

Wir stiegen also weiter. Gelegentlich rieselte etwas ueber uns herab – aber nichts von  Bedeutung. Wir wussten, je hoeher wir sind, desto geringer wird der Druck der herunterfallenden Schneemassen – und so bemuehten wir uns nun, rasch an Hoehe zu gewinnen.

 

"Stell  dich fest hin!"

Harry erreichte schliesslich einen Platz, wo er unweigerlich aus der Deckung der Felsen nach links in die Fallinie der Rinne ueberwechseln musste. Dann loesten sich aus der Gipfelzone wieder einmal einige Schneerutscher. Harry sah, wie die Lawine sich vergroesserte und ueber die linke Rinnenwand herunterrieselte. Er rief zu mir herab: "Stell' dich fest hin, diesmal wird`s mehr." - Ich rammte meinen Eisbeilschaft sofort in den Rinnengrund, ebenso die Steigeisen. Dann drueckte ich mich so gut ich konnte in die Rinne. – Die Schneeklumpen rollten ueber mich hinweg. Ploetzlich wurde ich samt Eisbeil von den Schneemassen in die Tiefe gerissen. Mir war im Moment nicht klar, ob Harry gestuerzt war und mich mitriss oder ob ich mich nicht hatte halten koennen. Aber ich hatte nur wenig Zeit fuer solche Gedanken, denn ich bekam fast keine Luft mehr. Nun ruderte ich aus Leibeskraeften mit Haenden und Fuessen. Es waren keine schoenen Schwimmbewegungen, wie man das sich so oft vorstellt – es war einfach ein Kampf, um oben zu bleiben. War mein Kopf frei, so versuchte ich schnell, etwas Luft zu erhaschen. Aber bald ging die wilde Fahrt weiter, einmal quer, mit dem Kopf voraus, und schliesslich wieder mit den Fuessen vorweg. Den ganzen Koerper drehte es mir dabei wie durch eine Knetmaschine. Jetzt spuerte ich ploetzlich einen heissen, stechenden Schmerz im rechten Knie – was war das nur?

Als die Lawine endlich zum halten kam, war ich vom Kopf bis zur Brust einbetoniert. Ein Glueck, dass ich die Haende gerade vor dem Mund hatte! Ich wuehlte mich heraus, um wieder einmal ordentlich Luft holen zu koennen. Jetzt hoerte ich Harry maechtig schreien, vermochte mich aber noch nicht zu melden. In diesen Augenblicken war jeder noch viel zu sehr mit sich selbst beschaeftigt. Als ich mich aus der eisigen Umklammerung voellig befreit hatte, schaute ich nach Harry – er lag fast neben mir und war gerade noch dabei, den letzten Pressschnee von sich zu loesen.

 

"Vater, hierher!"

Was war eigentlich mit unseren Freunden? Da sah ich auch schon den 15jaehrigen  Klaus den Gletscher hinausrennen. Er hatte wahrscheinlich einen maechtigen Schock erlitten, denn er rief immer: "Vater, hierher, Vater, hierher. "Schlimm fuer ihn, es sollte doch seine erste grosse Eistour werden, und nun dieses Malheur.                  

Vater Leo stand schraeg oberhalb von uns. Da sich die beiden schon im Aufstieg rechts, in Richtung Hintergrat, gehalten hatten, waren sie nur von den Auslaeufern der Lawine gestreift worden. Leo kam zu uns, um zu helfen.

Als wir uns wieder ein wenig aufgerappelt hatten, meldete sich mein Knie wieder mit um so heftigerem Schmerz. Es sollte mir noch lange zu schaffen machen!  Ich konnte nicht mehr laufen, sondern nur mit der Hilfe der Maenner langsam dahinrutschen. Wir schickten daher Leo nach einem Hubschrauber.

Aber auch Harry war schwer gezeichnet. Er hatte sich den Pickel in den Oberschenkel gerannt, hatte starke Schmerzen und litt unter  Atemnot. Dennoch sammelte er die vier Rucksaecke zusammen und band sie an das Seil der Burghausner. Dann strebten wir der Gletschermitte zu, um vor den Lawinen sicher zu sein – ich rutschend, Harry die Rucksaecke hinter sich herziehend.

Die Suldener Bergwacht hat uns drei Stunden spaeter mit dem Hubschrauber abgeholt. Harry, der selten etwas anderes als Bloedsinn im Kopf hat, meinte: "Ich wollte schon immer mal probieren, wie sich's mit einem Hubschrauber fliegt – und meine neue Uhr habe ich bei dem Sturz auch gleich getestet...."

 

Inge Rost, geschrieben Oktober 1973

 

PS : Der Ausloeser der Lawine war ein Abbruch der Gipfelwaechte, das passiert     etwa aller 15 Jahre wenn die Waechte zu weit heraushaengt.

In der Anstiegsskizze sind unseren Positionen vor und nach dem Sturz eingefuegt, rot ist Inge, blau bin ich.

 

Harry Rost

 

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updated  02.05.14

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