Bergtouren und Tourenberichte

Eiskögele Nordwand

Ja – mit dem Eiskögele, das war so eine Sache, die war verzwickt vom Anfang bis Ende. Wenn ich daran denke muss ich immer wieder lachen, obwohl es manchmal nicht zum Lachen war. Zunächst hatte die Angelegenheit eine Vorgeschichte, und die war mindestens genau so komisch wie die eigentliche Durchsteigung.

Es war Anfang Juli 1959. Mit meinem leider inzwischen verunglückten Bergfreund Micke (Guenther Jahr) war ich zum Enzinger Boden gefahren. Unser Ziel war die Eiskögele Nordwand. Der Hauptgrund für diese Entscheidung war, dass wir in diesem Sommer auch noch zur Eiger Nordwand wollten. Irgendwo hatte ich gelesen, die Eiskögele Nordwand wäre hierfür eine geeignete Trainingstour. Unser Geld war wie meistens knapp und das Wetter schlecht, eigentlich viel zu schlecht um die Eiskögele Nordwand anzugehen. Aus einem geliehenen Führer hatte ich mir die Routenbeschreibung nur stichwortartig abgenommen. Andere Beschreibungen hatte ich nicht. Wir hatten also keine Auswahl, falls wir überhaupt etwas tun wollten. Das ins Anreisebenzin investierte Geld wollten wir unbedingt abklettern. Außerdem sparte man sich beim Biwakieren das Geld für die Übernachtung.

Mit der Seilbahn fuhren wir zur Mittelstation. Wegen Schreibfaulheit fehlte in meiner Nordwandbeschreibung der Zustieg. Es herrschte dichter Nebel. Man konnte nur eine kurze Strecke einsehen, aber keinesfalls einen Überblick über die Umgebung bekommen. Wir fragten einen Seilbahnschaffner nach dem Eiskögele. „Das steht auf dem Gletscher hinten links – da können S' jetzt aber nicht hingehen", sagte er und ging kopfschüttelnd wieder in die Station. Wir trollten uns – nach hinten links.

An diese Bergfahrt kann ich nur zurückdenken, erleben kann ich so was wohl nie mehr. Einesteils ging so etwas nur mit dem Micke, dem wirklich gar nichts zu blöd war – außerdem wäre ich heute zu bequem um bei solchem Wetter ins Ungewisse zu tappen. Die Erinnerung wird ewig bleiben.

Es war schon Nachmittag. Viel war nicht mehr zu zerreißen. Aber ein Stück würden wir schon kommen. So marschierten wir über den Gletscher bis wir unter die Wände gelangten. Zeitweise riss der Nebel für wenige Sekunden auf. Wir sahen ein Stück Rinne und Felskanten hervortreten.

Jetzt standen wir vor einer Rippe. Richtig – Rippe, so stand es in der Beschreibung. Bei einer Rippe sollte es losgehen. „Wir haben es", sagte ich zu Micke: „hier geht es los". „Niemals", meinte er: „Die ist viel zu flach, die Eiskögele ist sicher steiler". Wieder jagte der Wind einen Nebelfetzen davon, und wir erblickten etwa 400m links eine weitere Rippe – welche steiler aussah. „Die wird es sein", meinte Micke. Also packen wir diese", willigte ich ein – und schon stapften wir hinüber.

Wacker gingen wir die Sache an, immer feste empor. Ab und zu verglichen wir mit unserer stark gekürzten Wegbeschreibung – die sich sowieso auslegen ließ wie man wollte – und hofften immer auf der richtigen Route zu sein. Zu Nebel und Wind hatte sich noch ein regendurchsetztes Schneetreiben gesellt, und die Brühe rann munter die Wände herunter. Es begann auch langsam Nacht zu werden. Es war einfach herrlich blöd, mit nassen Klamotten so in der Finsternis in dieser von aufgeweichten schmierigen Schuttabsätzen unterbrochenen und auch sonst recht lockeren Wand herumzusteigen und keinen vernünftigen Biwakplatz zu finden.

Endlich erreichten wir einen etwas breiteren schrägen Absatz, wo wir einige dürftige Haken ins lockere Gestein treiben konnten. Immerhin, mehrere schlechte Haken ersetzen einen guten – und die Hüttengebühr für diese Nacht hatten wir gespart. Was wollten wir mehr. Schön gleichmäßig rieselte der Schnee auf uns herab, so wie sich das die meisten Leute zu Weihnachten wünschen. Besonders angenehm war die Nacht nicht, aber sie hatte ein Ende.

Morgens, ich warf gerade den ersten vorsichtigen Blick aus dem Biwaksackfenster, zeigte sich ein blauer Fleck am Himmel. Der Fleck erweiterte sich zusehends, und bald konnte ich etwa 60m über uns ein Gratstück erkennen. Freudig stieß ich den Micke an: „Noch zwei Längen und wir sind am Gipfelgrat!" So etwas hätten wir uns nicht träumen lassen. Ja das war wirklich ein freudiges Ereignis….aber nicht lange.

Die Wolkendecke riss endgültig auf, und rechts über uns stand das Eiskögele mit seiner prachtvollen, frisch überzuckerten Nordwand. Unsere dummen Gesichter dürften in diesem Augenblick keinen sehr geistvollen Eindruck gemacht haben. Wir befanden uns rechts des Johannisberges, dicht unterhalb der unteren Oedenwinkelscharte. Ein herrlicher Tag zog herauf, uns jedoch blieb nur der Abstieg. Für einen Versuch auf der richtigen Route war es schon zu spät, denn wir mussten am Nachmittag zurückfahren. (Wie ich aus einem später erstandenen Führer ersehen konnte, müssen wir damals etwa die Johannisberg-Nordwand über die Nordwand der Unteren Oedenwinkelscharte eingeschlagen gehabt haben.)

 

17.Juli 1962

Die Eiskögelewand war noch immer unerfüllter Wunsch. Allerdings nahm sie jetzt unter meinen Plänen einen viel bescheideneren Platz ein als früher. Nach dem daneben gegangenen ersten Versuch hatte ich allen Respekt vor dieser Wand verloren. Meine Einstellung ließe sich etwa wie folgt formulieren: Wenn's mal zu gar nichts anderem mehr taugt, dann wird's gerade noch zur Eiskögele reichen.

Zwar waren wir bei unserem Versuch gar nicht mit der eigentlichen Wand in Berührung gekommen, doch lag unser Gelände in der gleichen Wandflucht und hatte auch etwa die gleiche Struktur. Aber – eine Wand, bei der man bei schlechtesten Verhältnissen und bei Nacht so sinn- und planlos herumzigeunern konnte, ohne dass etwas schief ging, die musste einfach immer gehen. Dieser Gedanke hatte sich in meinem Kopf festgesetzt und wollte nicht mehr heraus.

Gemächlich schlenderten wir über den Gletscher in Richtung Einstieg. Diesmal war ich mit Mabuse (Wolfgang Heer) unterwegs, der Micke konnte leider nicht mehr dabei sein.  Das Wetter war nicht gut, aber besser als 1959. Am Abend hatten wir einen Vortrag besucht, anschließend in einer Wirtschaft gegessen, um schließlich nach Mitternacht als selbige schloss noch bis Inzell zu fahren. Hier zelteten wir, schliefen morgens schön lange, und setzten dann unseren Weg fort. Wir hatten es nicht eilig, es ging ja nur zum Eiskögele.

Der Himmel war bedeckt, und der Gipfel steckte in den Wolken. Der Einstieg war zu sehen. Wir hatschten geradewegs darauf zu, wodurch wir einige Schwierigkeiten mit Querspalten bekamen. Etwas weiter links wäre es bequemer gegangen. Das Seil hatten wir schon zwischen den Spalten angelegt, und so nahm ich gleich die erste Seillänge in Angriff. Mabuse machte mich auf die zunehmende Eintrübung aufmerksam, doch das störte mich heute nicht. In meiner leichtfertigen Einstellung zur Eiskögele Nordwand war ich, zumindest für heute, zu einem Unentwegten geworden.

Abwechselnd führend arbeiteten wir uns empor und kamen flott voran. Im letzten Dämmerschein richteten wir unser Biwak am Beginn der Rinne die nach rechts zum Gipfelgrat hinauszieht. Es begann wieder schön gleichmäßig zu schneien – geradeso wie damals. Die Nacht war nicht sonderlich angenehm, auch der Biwakplatz war nicht der beste. Es ließ sich aushalten. Der Morgen bescherte uns einen kurzen Blick in die Ausstiegsrinne, dann zog es wieder zu. Wir befanden uns in einer homogenen Wurstsuppe. Uhr hatten wir keine dabei. Es muss zeitig gewesen sein als wir aufbrachen, zumindest war es unangenehm kalt. Es schneite weiter, wie es schon die ganze Nacht getan hatte.

Wir kamen jetzt langsam vorwärts, denn wir fühlten uns nicht übermäßig wohl im frisch verschneiten Gelände. Die Felsen waren schlecht begehbar, das Eis in der Rinne hohl und die Sicherungsmöglichkeiten ungünstig. Außerdem gesellte sich mit zunehmender Erwärmung noch Steinschlag, der die unangenehme Eigenschaft hatte dass wir ihn aufgrund des Nebels nicht sehen konnten. Wir hörten es nur krachen und vorbeipfeifen, ohne vorher die Richtung ausmachen zu können. Unser Auftrieb hatte stark gelitten. Wir waren froh um jede Seillänge, die wir hinter uns hatten.

Harte Eiskristalle peitschte uns der Wind unbarmherzig ins Gesicht, als wir auf den Gipfelgrat hinaustraten. Die Wand lag hinter uns, aber einsam und allein standen wir im Toben der Naturgewalten, weit entfernt vom sicheren Hort. Ein Händedruck und keine Gipfelrast – ein neues Ziel, hinab ins Tal. Wir waren nach meiner inzwischen unleserlich gewordenen Routenabschrift von 1959 gegangen. Eine Beschreibung des Abstieges besaß ich nicht. Geplant war der Abstieg über die untere Oedenwinkelscharte, und weiter über die Wand die wir versehentlich 1959 bis kurz unter den Ausstieg begangen hatten – da kannte ich mich ja aus.

Jetzt aber bekam ich Bedenken, ob wir überhaupt  den Einstieg von der Scharte in die Wand finden würden. Mabuse hatte mal etwas vom Kastengrat gehört und schlug diesen vor. Also wechselten wir die Richtung – und bald hatten wir uns total verfranzt. Überall brach das Gelände seitlich ab, und wir konnten nicht sehen wie weit.

Plötzlich riss es linker Hand auf. Wir sahen einen Gletscher weit hinabziehen. Also in diese Richtung, ganz gleich wo es hingeht, Hauptsache nach unten und raus aus der Waschküche. Es war eine ziemliche Stapferei im aufgeweichten Schnee. Doch da es bergab ging kamen wir gut voran. Zuletzt ging es über Wiesenhänge und durch ein Bachbett.

Hier hätten wir leicht nach rechts hinaus queren können. Wie ich später erfuhr geht da sogar ein Weg. Aber wir hatten absolut keine Lust dazu, weil's gerade so schön bergab ging. Wir landeten beim Kalser-Tauernhaus. Zunächst machten wir hier gemütlich Brotzeit. Dann mussten wir übers Kalser-Törl zur Rudolfshütte marschieren, weil unser Fahrzeug am Enzinger Boden stand.

Gegen 21:00 erreichten wir die Rudolfshütte. Die letzte Seilbahn war natürlich schon lange fort. Den langen Abstieg zum Enzinger Boden zu Fuss und bei Nacht, das hätte uns gerade noch gefehlt. Der Gedanke an eine Übernachtung auf der Rudolfshütte, mit dem mir recht unsympathischen Hüttenwirt, stimmte mich nicht sonderlich vergnügt. Zudem lag unser Geld drunten im Fahrzeug. Mit diesen Umständen hatten wir ja nicht gerechnet.

Es kam anders. – Der Hüttenwirt hatte Urlaub, und eine junge hübsche und überaus freundliche Blondine hatte die Vertretung. Sie wusste auch schon woher wir kamen. Ein Bergführer, den wir beim Aufstieg über den Gletscher trafen, und der uns morgens als der Nebel kurz aufriss in der Rinne kurz unter den Gipfelgrat entdeckt hatte, hatte sie bereits informiert. Wir wurden freundlich aufgenommen – und noch dazu kostenlos!

 

Da ich mehr Abenteurer als Sportler bin haben solche Touren in meiner Erinnerung besonderes Gewicht. Ich bin die Eiskögele Nordwand in den folgenden Jahren noch zweimal mit unterschiedlichen Gefährten gegangen. Glatt gegangen ist es nie und der Abstieg war jedes Mal anders. Interessant war es immer.

 

Harry Rost, geschrieben 1962, ergänzt 2011

 

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updated  02.05.14

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