Bergtouren und Tourenberichte

Lenzspitze  Nordwand

13.08.1972. Bei drueckender Hitze trugen wir unsere Rucksaecke zur Mischabelhuette. Wir hatten uns leicht ausgeruestet. Ein 7 mm Seil, das man notfalls auch doppelt nehmen konnte, und auch sonst nur das Noetigste. Die gleichmaessige Flaeche des Firnschildes der Nordwand lies weder besondere Schwierigkeiten, noch objektive Gefahren erwarten. Uns hatte nur das schoene Bild auf dem Rueckdeckel eines Vanisbuches gereizt.

Auf der Huette trafen wir 3 weitere Seilschaften mit dem gleichen Ziel. Alle kamen aus Muenchen und  waren uns bekannt. Um den Wetterbericht hatte sich keiner bemueht. Wir alle lebten in der Annahme, wenn es heute so schoen ist, wird es wohl morgen auch noch schoen sein. Am naechsten Morgen waren wir arg verwundert, dass es anders war.

 Wie ueblich waren wir die Letzten die die Huette verliessen. An der Randkluft angekommen, hatten sich bereits 2 der vor uns befindlichen Seilschaften, wegen des schlechten Wetters ( Nebel und Schneefall ) zur Umkehr entschlossen. Irgendwo ca. 100m ueber uns, stieg unser Freund Herbert Karasek mit seinem Seilgefaehrten. Wir konnten ihn hur erahnen, nicht sehen. Kurz entschlossen setzten wir uns in die Andeutung seiner Spur.

Wir kamen gut voran, und bald sahen wir auch den Herbert. Aber er stieg nicht auf- sondern abwaerts. Sein Kamerad wollte aufgrund des Wetters nicht weiter. So war Herbert zur Umkehr gezwungen. Ein kurzer Gruss und weiter ging's.

Das Wetter hat uns nicht sonderlich gestoert. Es war nicht sehr kalt und auch die Feuchtigkeit ging nicht bis auf die Haut. Wegsuche gab es nicht. Es ging immer, etwas eintoenig, gerade nach oben. Steilheit und Eisqualitaet waren ueber die gesamte Wandhoehe nahezu unveraendert. Die Sicht war auf einen kleinen Eiswandausschnitt begrenzt, immer gleich aussehend.

Waehrend eines kurzen Nebelaufrisses, konnten wir Bergsteiger in einer ausgetretenen  Spur zum Nadelhorn stapfen sehen. Ansonsten Eiswandroutine, rechtes Bein, linkes Bein, Eishammereinsatz, Pickeleinsatz, Standstufe, 2 Eishaken, Zwioschenhaken usw.

Irgendwann gegen Mittag, wir hatten keine Uhr dabei, erreichten  wir den Gipfel. Wir standen ploetzlich oben, und zwar direkt, nicht wie in der Vanisskizze ueber den linken Grat. Das war reiner Zufall. Wir hatten vorher nie geprueft in welcher Hoehe wir uns befanden.

Keine Aussicht, aber ein gluecklicher Moment. Haendedruck und Gipfelkuss, und auch gleich der Gedanke an den Abstieg. Aber wohin ?

Als einzige Orientierung hatte ich eine Kopie der Seite aus dem Vanisbuch. Das half in unserer Situation nicht viel. Gegen die Abstiegsseite sahen wir ca. 5 m Schneegrat und darunter alles weiss, oder hellgrau in hellgrau; blendend hell und doch undurchsichtig milchig verschwimmend. Keine Ahnung, wie oder wo das da hinunterfuehrte.

Der sicherste Weg, so schien mir, war wohl der Verbindungsgrat zur Nadelkuppe. Da konnten wir uns wenigstens auch ohne Sicht und ohne Beschreibung nicht verlaufen. Danach war die gesichtete ausgetretene Spur zur Mischabelhuette vorhanden. Die musste trotz Schneefall auszumachen sein.

Gedacht – getan. Bei inzwischen heftigem Wind gingen wir den Grat an. Vereiste Felsen mittlerer Schwierigkeit wechselten mit Firnabschnitten. So ging es auf der oft recht schmalen Schneide auf und ab. Waehrend einer Gewittereinlage gingen wir in der linken Flanke etwas tiefer in Deckung. Weitere Gewitterperioden zwangen uns dieses Ausweichmanoever mehrmals zu wiederholen.

Die Zeit verging. Aus dem Wind war inzwischen Sturm geworden. Die im Verlauf der Tour nass gewordene Kleidung war an der Oberflaeche steif gefroren. Immer wieder zuckten Blitze. Der Sturm blies die Nordflanke zeitweise voellig frei, waehrend die Suedseite in eine undurchsichtig graue Masse gehuellt blieb, die den Grat noch ueberragte. Ein vorzeitiger Abstieg in die Nordflanke  war unmoeglich, soviel konnten wir inzwischen sehen. Es begann zu dunkeln.

Vor uns ragte ein grosser, steiler, spitzer Turm auf. Offenbar der letzte Turm vor den Nadelhorn. Ich versuchte ihn rechterhand zu umgehen. Es ging langsam voran. Die Felsen waren stark vereist. Da setzte erneut ein starkes Gewitter ein. Wir entschlossen uns zum Biwak. Ich ging zur Scharte zurueck. Von hier querten wir unter die nach Norden herausragende Waechte.

Mit dem Pickel konnte ich eine kleine Hoehlung aus der Firnwand herausarbeiten. Darin fuehlten wir uns einigermassen sicher, und auch vor dem Sturm notduerftig geschuetzt, Der spitze Turm ueber uns sollte als Blitzableiter fungieren. Das Gewitter tobte noch immer.

Fuer Inge hatte ich eine duenne Leichtdaunenjacke dabei. Fuer mich hatte ich nichts derartiges. Mir war sehr kalt, besonders der an die Firnwand gelehnte Ruecken.

Am Morgen sind Gewitter selten. Mit dieser Hoffnung zitterten wir dem neuen Tag entgegen. Schwer geirrt. In der Nacht hatte zwar das Gewitter aufgehoert. Doch als wir am Morgen weiter wollten, zuckten bereits wieder die ersten Blitze.

Ploetzlich ein Nebelaufriss auf der Suedseite. Wir konnten eine steile Rinne ausmachen, die von der Scharte zum Gletscher hinabzog. Die musste passierbar sein. Also hinab. Mehrmals mussten wir abseilen. Andere Stellen konnten wir abklettern. Ueber einen steilen Firnhang erreichten wir schliesslich den Gletscher. Aber welchen Gletscher ? Wo fuehrte er hin ?

Vom Sturm spuerten wir hier nichts mehr. Die Sonne drang durch den Nebel. Es wurde uns warm. Die Spannung war gewichen. Wir wurden sogleich arg muede. Rechterhand ging der Gletscher abwaerts. Das wurde unsere Richtung. So hatschten wir gemuetlich dahin, bis eine Spaltenzone zum Ausweichen auf die andere Gletscherseite zwang. Doch auch da wurde es bald eng. Wir versuchten es ueber die Begrenzungsfelsen, und gelangten dort in eine rampenartige Verschneidung dicht am Gletscherrand.

Bald wurde es steiler und schwieriger. Wir mussten sichern und gelegentlich zwischendurch auch kurze Strecken abseilen. Weiter unten brach dann alles senkrecht ab, die Felsen und auch der Gletscher. Die Sicht nach unten war frei. Wir sahen gruene Wiesen und auch baumbestandene Flaechen. Abseilstellen, Baenderzonen und ein kleiner Felswinkel bildeten den Rest des Abstieges.

Wenn wir nur nicht so furchtbar muede gewesen waeren. Das Seil verschwand im Rucksack. Ueber steile Grashaenge stolperten wir, an Huetten und Stadeln vorbei, talwaerts. In der beginnenden Dunkelheit erreichten wir eine Ortschaft. Im Wirtshaus bestellten wir zunaechst ein Bier, und fragten dann wo wir sind. „In Randa" war die Antwort.

Wir gingen zum Bahnhof. Laut Fahrplan und Bahnhofsuhr haette noch ein Zug fahren muessen. Wir warteten vergebens. An Sonn- und Feiertagen fuhr dieser Zug nicht. Es war Feiertag. In der Bahnhofswirtschaft konnte Inge 2 junge Burschen auftreiben, die uns gegen gute Bezahlung nach Sass Fee fuhren. Dort verschwanden wir gluecklich und zufrieden in den Schlafsaecken in unserem Auto.

Nachdem ich bereits 2 Tage an meinem Arbeitsplatz war, wollte uns ein profilierungssuechtiger Alpinfunktionaer retten. Was soll man da noch sagen. Berufsfunktionaere sind ohnehin eine schlechte Erfindung.

 

Harry Rost, geschrieben 1972 wenige Wochen nach der Tour

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updated  02.05.14

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Inge und Harry Rost