Bergtouren und Tourenberichte

Les Droites - Direkter Nordostpfeiler

Eine Tour, die kein Ende nehmen wollte

 

Chamonix, 5.Oktober 1981. Wir sind zur Argentiere-Huette aufgestiegen. Der Wetterbericht hat fuer zwei Tage oder etwas mehr schoenes Wetter gemeldet. Ein Tag davon ist inzwischen allerdings schon fast vergangen. Ein Bergfuehrer, den ich drei Wochen vorher am Weg zum Freney-Pfeiler getroffen hatte, sagte uns, als er von unserem Vorhaben hoerte: „Da werdet ihr langsam vorankommen, in den letzten 2 Wochen hat es hier viel Neuschnee gegeben." Mit diesem besonderen Trost sind wir gut eingeschlafen.

Nach einer viel zu kurzen Nacht hatschten wir, noch in der Dunkelheit, ueber den Gletscher zum Einstieg. Dass wir es mit viel lockerem Neuschnee zu tun hatten, bekamen wir bald zu spueren. Schon auf dem ersten nach rechts ziehenden Band versanken wir teilweise knietief.

Die Daemmerung war dem Tag gewichen, der so schoen war, wie ihn der Wetterbericht versprochen hatte. Im jetzt steiler werdenden Gelaende war vom Neuschnee nicht viel haften geblieben. Zudem handelte es sich dabei teilweise um Risse, meine Spezialitaet. In geteilter Fuehrung kamen wir, unserer Auffassung nach, einigermassen gut voran. Von vorhandenen Haken war nichts zu finden. Es sollte sich ja vorwiegend um eine Freigehtour handeln. Die Route ist durch die Rissfolge gegeben. Die Orientierung war auch ohne wegweisende Haken kein Problem.

Die Rucksaecke drueckten hart auf die weichen Schultern. Ein Glueck, dass man bei uns Lasten nicht auf dem Kopf transportiert.

Einige verschneite und vereiste Passagen hatte inzwischen einiges an Zeit und Kraft gekostet, was unsere Chancen, mit einem Biwak durchzukommen, bereits stark reduzierte. Dann kam ein breiter, dafuer aber arg glatter Risskamin an die Reihe. Ich blieb mit dem Rucksack darin stecken. Letzten Endes musste ich den Rucksack an einem Klemmblock befestigen, um ihn spaeter am Seil nachziehen zu koennen. Wieder war kostbare Zeit vergangen. Aber bei dem schoenen Wetter stoerte uns das wenig. Insgesamt gefiel uns die Tour. In einer kleinen Scharte, unterhalb des letzten mit Schwierigkeit 6 bezeichneten Risses, richteten wir das Biwak ein.

Die Mahlzeit war reichlich, die Nacht kalt, aber ertraeglich. Am anderen Morgen weckten uns die ersten Sonnenstrahlen. Nach ausgiebiger Kocherei gingen wir den letzten schweren Riss an. Ich fand ihn gemein schwer. Nachdem ich mich mit der Unterbringung eines Klemmkeiles ziemlich verausgabt hatte, schickte ich versuchsweise mal die Elfi vor. Auch sie schaffte es nicht. So musste ich wieder ran. Ueber die rechte, zum Teil verschneite Wand, habe ich mich schliesslich dann doch hinaufgeaengstigt. Nur weil mir keine andere Wahl blieb. Sonst wuerden wir wahrscheinlich noch heute abwechselnd probieren.

Der Weg zum sogenannten Schloss, einem markanten Felsgebilde, gestaltete sich relativ leicht. Wir glaubten schon, alle Schwierigkeiten hinter uns gelassen zu haben, und den Rest ganz flott mit der Linken zu absolvieren. Weit gefehlt. Hinter dem Schloss ging's erst richtig los.

Viel Schnee und Eis erschwerte jetzt die Felskletterei. Die Sonne war um die Pfeilerkante verschwunden. Wir kaempften einen harten Kampf im kalten Schatten. Aber das war erst der Anfang. Der Fels hatte starke Blankeisauflagen, und darueber lagen noch ca. 20 cm Pulverschnee. In einer Querung verlor Elfi ein Steigeisen und wenig spaeter gleich noch das andere. Das zweite Steigeisen blieb gluecklicherweise in der Schneehaube eines Felsvorsprunges haengen. Beide Eisen waren an der Mittelverschraubung auseinandergebrochen. Gluecklicherweise geschah das Missgeschick nahe dem Standplatz. Elfi ging diese Laenge als Seilzweite.

Das gerettete Steigeisen konnten wir mit Reepschnueren reparieren. Nun lag die Fuehrung fuer den Rest des Weges in meinen Haenden. Ich war nicht sehr stolz auf diese ehrenvolle Aufgabe, zumal sie mit Arbeit verbunden war. Ich durfte jetzt von Zeit zu Zeit Stufen ins Blankeis schlagen, damit Elfi gelegentlich den steigeisenlosen Fuss darauf stellen konnte. Der Pulverschnee gab keinen Halt. Die Handschuhe waren nass, die Felskanten mit Rauhreif besetzt, und starker Sturm kam auf. Insgesamt eine kalte Sache. Als es Nacht wurde, kletterten wir frierend in einer steilen Eisrinne, die in einer kleinen Gratscharte endete. Das Gelaende war abschuessig und dick vereist.

Mit dem Kurzschaftpickel versuchte ich einen Sitzplatz fuers Biwak auszuhacken. Ohne Erfolg. Zuletzt setzten wir uns, stark ermuedet, mit angezogene Beinen auf einem kleinen Felsabsatz in den Schnee. Ein Seilgelaender unter den Armen verhinderte das Herauskippen. Etwas Suppe haben wir uns unter dem im Wind knatternden Biwaksack auch noch fabriziert. Unsere Sachen waren stark feucht. Uns fror.

Der naechste Morgen war grau in grau. Mit dem Fruehstueck hatten wir nicht viel im Sinn. So ging es gleich in den Fels. Wir wollten raus. Die Kletterei begann mit einem steilen, nahezu schneefreien Riss, den ich mit klammen Fingern ohne Handschuhe erklettern musste. Waehrend eines Spreizschrittes wurde ploetzlich die Unterhose braun – das war kein Heldenblut. Wahrscheinlich hatte ich mich auf unserem nassen Schneesitz etwas erkaeltet.

Was soll's, wir mussten weiter. Gerade dass ich mir am Stand noch etwas Zeit zum Ausputzen goennte. Es begann zu schneien. Der Wind liess die Flocken tanzen. Wir sahen nur unsere naechste Umgebung und kletterten, kletterten, kletterten. Immer wieder vereiste und verschneite Felsen, Risse und Rinnen. Schlechte Sicherung.

Nachdem ich in einem Couloir ziemlich weit ohne Zwischensicherung ausgestiegen war, konnte ich, in einer kurzen, steilen Eisflanke dicht am Grat, meine erste Titaneisschraube ausprobieren. Ich hatte sie vier wochen vorher geschenkt bekommen. Die Steigeisen waren durch die Felsgeherei arg abgerundet und drangen kaum ins Blankeis ein. Das sollte mein noch ziemlich neuer Kurzschaftpickel, mit der stark nach unten gezogenen Haue, wettmachen. Der Elfi sagte ich noch, sie solle die stark vereisten Seile gut durchhaengen lassen, um den Seilzug zu reduzieren. Dann Start in Richtung Grat. Allerdings nur einige Meter. Mein Pickel, an dem ich mit voller Last hing, hatte eine Schuppe aus dem plattigen Eis herausgehebelt. Schon ging's dahin.

Gluecklicherweise bin ich nirgends derb angeschlagen. So machte ich mich wutentbrannt sofort wieder ans Werk. Ich bin nicht viel weiter gekommen, dann war's wieder soweit. Der Gedanke, dass hier alles nur an einer Eisschraube hing, deren Einhaengeoese inzwischen arg verzogen war, brachte mich zu der Einsicht, dass hier sauberer gearbeitet werden muss.

Einige Kerben und eine weitere Eisschraube verhalfen zum Durchstieg auf den Schneegrat. Ich hoffte, es sei der Ausstiegsgrat, der zum Gipfel fuehrt. Felskulissen in einem Nebelaufriss liessen diese Hoffnung schwinden.

In einem Waechtenausbruch der linken Flanke erspaehten wir etwa 10 m unter uns eine schmale Felsleiste. Es war bereits spaeter Nachmittag. Das letzte Biwak war noch gut in Erinnerung. So wollten wir moeglichst nicht wieder biwakieren. Wir stiegen zur Felsleiste ab.

Der Platz war einigermassen windgeschuetzt, und wir konnten ihn mittels loser Steine zu einem echten Sitzplatz ergaenzen. Wir hatten nun auch Zeit zum Kochen, was unseren inzwischen an den Knien haengenden Maegen sicher guttat.

Unsere Bekleidung war inzwischen nicht nur feucht. Jetzt war alles nass, und die Kondensation im Biwaksack erhoehte diese Naessekonzentration permanent.

So haben wir die Nacht abgesessen, und am Morgen nochmal ausgiebig etwas zum Trinken gekocht. Weit konnte es doch wohl nicht mehr sein. Wir sind erst gegen 10 Uhr aufgebrochen, immer in der Hoffnung, dass es aufreisst. Aber da war nichts.

Nach dem kurzen flachen Schneegratstueck kamen wieder Felsen und wieder Risse, und so ging's dahin. Alles verschneit und alles vereist, an den Kanten zusaetzlich mit Rauhreif ueberzogen. Immer langsamer kamen wir voran. Ein stark vereister, glatter, enger Kamin, der sich nach oben hin schliesst, bildete ein echtes Hindernis. Gluecklicherweise hing am oberen Ende ein Stueck verklemmtes altes Seil, das den Ausstieg etwas erleichterte.

Am Ende einer langgezogenen Gratscharte standen wir wieder vor steileren Felsen. Die Wolken hatten sich verdichtet. Es begann zu dunkeln. In den Felsen konnte ich keinen Biwakplatz ausmachen. So ging ich zurueck, zu einem schmalen, schneebedeckten Band. Hier legten wir, nachdem wir den losen Schnee entfernt hatten, eine Rettungsdecke aus. Darauf breiteten wir die im Abseilachter ausgewrungenen Seile als Biwakunterlage aus. Kaum hatten wir unser Werk vollbracht, rutschte der vom Wind an der darueberliegenden Wand angeblasene Schnee ab und begrub die ganze Angelegenheit. Wir mussten das Biwak neu herrichten. Unser viertes Biwak.

Aus den Daunenjacken tropfte das Wasser, soweit sie nicht bereits von aussen her erstarrten. Der Biwaksack war innen noch vom letzten Biwak her klatschnass. Bald wuerde er mit Reif ueberzogen sein. Die Kaelte schuettelte uns. Elfi kroch in den Biwaksack. Ich pulverisierte mit dem Hammer unsere drei letzten Rotefruechtestaebchen in ihrer Verpackung. Mit dem letzten Rest der Gaskartusche braute ich eine Suppe daraus. Unsere letzte Nahrung, unser letztes Getraenk. Was nun folgen wuerde ging von der Substanz. Das heisst erhoehter Koerperverschleiss, weiter Reduzierung des Tempos, Ermuedung und Kaelteempfindlichkeit.

Am anderen Morgen, nunmehr dem fuenften Klettertag, gab's nichts zum Essen und nichts zum Trinken. Auch keine Moeglichkeit, den Biwaksack per Kocher etwas aufzuwaermen. Das machte den Start relativ unkompliziert, die Gelenke aber nicht weniger steif.

Zwei Seillaengen Fels, danach erreichten wir einen Schneegrat. Es musste der Schneegrat sein der zum Gipfel fuehrt. Dann riss es auf. Wir sahen den Gipfel gut zwei Seillaengen ueber uns. Wir sahen auch ins Tal. Die Sonne schien warm, und wir wurden sehr muede, und wir stafpten im tiefen Schnee. Aufpassen hiess es bei den steil abfallenden Flanken und dem weichen Untergrund.

Da ploetzlich erschien ein Hubschrauber. Gendarmerie war darauf geschrieben. Wegen falschen Parkens kam der sicher nicht hier vorbei. Bis auf ca. 4 m flog er an mich heran. In der offenen Tuer sass jemand und rief etwas auf franzoesisch, das ich nicht verstand. Ich habe ihm gewinkt und wollte ihn fotografieren. Doch bevor ich den Foto heraus hatte, war er verschwunden. Kurz danach wurde auch der Nebelvorhang wieder zugezogen. Wir erreichten bei heftigem Schneesturm den Gipfelgrat.

Wie wir spaeter erfuhren, hatte Inge dem Draengen unserer franzoesischen Freundin Jeanne Franco nachgegeben. Sie gab ihr Okay zum Hubschraubererkundungsflug waehrend der 20 Minuten andauernden Wolkenluecke. Es war die einzige Chance, vom Tal einen Einblick in unsere Situation zu erhalten.

Ich liess mich auf der anderen Seite des Grates eine kurze, steile Eisflanke hinunterfallen. Das sich straffende Seil bremste die Rutschpartie im flachen Tiefschnee ab. Elfi war, mit Sicherung von unten, nicht bereit dieses System nachzuvollziehen. Sie stieg ab.

Keine Sicht. Unklarheit ueber den Abstieg. Wir gingen die wenigen Meter zum Gipfel. Dort war auch nichts klarer. Also zurueck. Ja – wir hatten's geschafft. Doch nur den Gipfel, den Weg ins Leben hatten wir noch lange nicht geschafft. Wir mussten weiterkaempfen. Auf einem flachen Schneeabsatz drueckten wir uns mit unseren dicken Handschuhen die Hand. Wir umarmten uns in unseren inzwischen wieder steif gefrorenen Klamotten mit vereisten Kapuzenraender.

Unter uns sahen wir einen groesseren Schneeabsatz, dem strebten wir zu. Laut Abstiegsbeschreibung sollte da irgendwo ein Schneefeld kommen, vielleicht war es das. Es sollten zwei Rinnen folgen, deren linke mit besseren Abseilschlingen vesehen sein sollte. Wir hatten nur Einblick in die rechte Rinne. So stiegen wir zunaechst mal da hinein.

Elfi stieg voran. Da sie meinen Ruf: „Seil aus!" nicht hoerte, musste ich nachgehen.

Ich konnte kaum noch rufen. Wir hatten schon zuviel in den Schneesturm hineingeschrieen – manchmal auch nicht gerade freundlich, wenn die gefrorenen Seile klemmten und der Andere nicht verstand –, so  dass unsere Kehlen entzuendet waren.

Es folgten Abseilstellen, an denen teilweise Schlingen vorhanden waren. Das gab uns die Hoffnung, richtig zu sein. Sehr viele Schlingen mussten wir selbst anbringen. Mit der zunehmenden Ermuedung und der nun auch nachlassenden Spannung, liess die Aufmerksamkeit nach. So waere beinahe eine Bandschlinge waehrend des Abseilens ueber einen runden Block gerutscht. Elfi merkte es im letzten Augenblick, liess mich den Abseilvorgang stoppen, und kerbte die Kante mit dem Eisbeil ein.

Dann wurde die Sicht nach unten frei. Ueber steiles Eis und die Randkluft erreichten wir leichteres Gelaende. Die Gegensteigung zur Couvercle-Huette sind wir bei Einbruch der Dunkelheit mehr hinaufgekrochen als gelaufen.

Wir wurden bereits erwartet, telefonierten mit Inge und Jeanne in Chamonix, und zierten den gesamten Innenraum der Huette mit unseren nassen Klamotten. Zu unseren Essenportionen bekamen wir alle auf der Huette verfuegbaren Reste, und versanken in einen traumlosen Schlaf, aus dem es ein Erwachen gab, dass das Erlebte erst so richtig ins Bewusstsein rueckte.

 

Harry Rost, geschrieben 1981 kurz nach der Tour

BT-Les-Droites-1

Der Nordostpfeiler der Droites

BT-Les-Droites-2

Am 3ten Tag

BT-Les-Droites-3

Am 4ten Tag

BT-Les-Droites-4

Das 4te Biwak

BT-Les-Droites-5

Ein Wolkenaufriss von 20 Minuten, die Zeit in der der Hubschrauber vorbeikam

HRost-Web-Titelbild2

updated  02.05.14

deutsch
english

Private Wepage von

Copyright © 2013. All Rights Reserved

Inge und Harry Rost