Was ich am 17te Juni 1953 am Postplatz in Dresden erlebte

Um einiges in meinem Leben haben sich Legenden gebildet. Manches davon wurde inzwischen von ahnungslosen Allesschreibern in klingende Münze umgesetzt. Einiges davon habe ich bereits in meiner Homepage richtig gestellt, anderes soll irgendwann folgen. In einem älteren Heft der SBB Zeitschrift wird berichtet, ich hätte am 17.06.1953 auf dem Dach der Verkehrsleitstelle am Postplatz eine Ansprache gehalten. Ich weiß nicht einmal ob dieses Dach überhaupt einen Zugang hatte. Ich weiß aber wie es wirklich war, denn ich war dabei.

So war's.

Ich saß in der Kantine meiner Arbeitsstelle am Mittagstisch, da kam mein Freund Fred Winkler, damals technischer Leiter im Kamerawerk Niedersedlitz, herein und sagte: "Geh mit, heute ist Generalstreik, jetzt wird die Regierung gestürzt". Ich wollte fertig essen, aber der Fred ließ mir keine Zeit. Er meinte, es ginge ums Ganze.

Viele Leute waren schon unterwegs in Richtung Postplatz. Ich traf darunter auch Freunde. Anlass waren Berichte aus Berlin, wo es Krawalle gab. Alle wollten helfen das verhasste Regime zu kippen, und hofften dabei auf die Unterstützung der USA. Das war eine Illusion. Da hatten wir uns wohl zu wichtig genommen.

Am Postplatz traf ich meinen Freund Harry Schoene. Dort geschah aber zunächst nicht viel. Keiner wusste so recht was nun folgen sollte. Auf so eine Situation waren wir nicht vorbereitet. In einer Diktatur lernt man das nicht. Sprechchöre verdammten den Zwangsstaat und riefen nach freien Wahlen. Das war schon alles. Auch die Gegenseite war hilflos. Die Vopo's sperrten ab. Über den Stadtfunk wurde der Ausnahmezustand ausgerufen, und wir zum Verlassen des Platzes aufgefordert. Es rührte sich nichts.

Die Feuerwehr wurde her zitiert. Die sollten uns mit Wasserwerfern davonjagen. Im Chor haben wir die aufgefordert sich uns anzuschließen. Sie taten es. Der Staat machte einen recht hilflosen Eindruck. Es geschah nichts, und das von beiden Seiten. Einige Panzer der Roten Armee fuhren vor der Ruine der Semperoper auf, aber die taten auch nichts. Es wurde langweilig. So konnte man doch keine Regierung stürzen.

Im HO Cafe saßen hinter den großen Glasscheiben die Gäste bei Kaffee und Kuchen. Sie schauten gespannt zu was sich da wohl tun würde. Um etwas Bewegung in die Sache zu bringen, forderte ich den Harry auf mit mir das Cafe zu schließen. Der war gleich dabei. Wir wollten es ordentlich schließen, ohne das Scheiben zu Bruch gingen. Das ist uns auch gelungen. Glaubten wir doch, dass es für den Nachfolgestaat erhaltenswert wäre.

Es war eine sehr ruhige Aktion. Wir haben den Geschäftsführer aufgefordert abkassieren zu lassen, und die Gäste heim zu schicken. Wir nahmen derweil die Bilder von Pieck, Ulbricht und Grotewohl von der Wand und warfen sie auf die Strasse, wo sie von der Menge zertrampelt wurden. Eine Marx Büste wollten wir auch noch auf die Strasse werfen, aber das Ding war zu schwer. Der Geschäftsführer bot seine Hilfe an. Harry lehnte dankend ab. Er meinte: "Den können sie stehen lassen, der war glaube ich SPD". Ich musste lachen. Das war ein ungewollter Witz. Anschließend schloss der Geschäftsführer den Laden ab und ging heim.

Harry, damals noch sehr jung, verspürte den Drang nach mehr Aktion. Wir gingen in die Verkehrsleitzentrale, wo auch der Stadtfunk untergebracht war. Der Harry hielt dort eine Rede. Er hatte dazu kein Konzept und auch keine Übung. Ich stand daneben. Was er sagte war ziemlich unausgegorener Quatsch. Schlagworte in mehrfacher Wiederholung. Ich musste dabei in mich hineinlachen. Aber die Leute draußen an den Lautsprechern klatschten. So ist das in solchen Situationen.

Die Straßenredner nach dem Mauerfall haben auch einigen Quatsch von sich gegeben. Aber in beiden Fällen meinten es die ungeschliffenen Redner ehrlich. Ich habe nicht gesprochen. Habe nur gelegentlich einem Genossen, der sein Parteiabzeichen noch an der Jacke hatte, selbiges abgerissen. Einmal ging dabei das Revers in Stücke, weil das Abzeichen rückseitig mittels Sicherheitsnadel fixiert war. Das war nicht meine Schuld. Es war der schlechte Ostzonenstoff.

Als es zu dunkeln begann verlief sich die Menge. Wir gingen anschließend ein Stück Richtung Wettiner Bahnhof in eine Kneipe. Am Biertisch saßen 3 junge Burschen, die an einem Konzept für den nächsten Tag feilten. Das war endlich etwas. Da wollten wir mitmachen. Wir verabredeten uns für den nächsten Morgen am Hauptbahnhof. Dann gingen wir heim. Der Harry übernachtete mit bei mir in Cotta.

18.06.1953. Am Hauptbahnhof trafen wir nur einen der Kameraden. Er hatte sich gerade eine Fahrkarte nach Berlin gekauft. Einer seiner Freunde war in der Nacht von der Stasi verhaftet worden. Vom Anderen wusste er nicht wo er ist. Harry und ich gingen in eine Telefonzelle um die Betriebsräte einiger größerer Betriebe zu Fortsetzung des Generalstreiks aufzufordern. Niemand wollte. Alle hatten Angst. Die Stasi hatte in der Nacht zugeschlagen. Viele waren verhaftet worden.

Wir gingen die Wilsdruffer Strasse entlang, wo hinter Bauzäunen an Großbaustellen gearbeitet wurde. Wir versuchten die Arbeiter durch den Bauzaun aufzuwiegeln. Keiner wollte. Schließlich wollte man uns einfangen. Nur durch den Sprung auf eine vorbeifahrende Straßenbahn konnten wir uns der Verhaftung entziehen. PKWs zur Verfolgung standen damals in der Ostzone noch nicht zur Verfügung.

Enttäuscht besuchten wir den Kunstmaler Johannes Boehme in der Gegend von Heidenau, der in Bergsteigerkreisen der Alte-AKV genannt wurde. Er meinte, wir sollten ins Normalleben zurückkehren, und auf die nächste Chance warten. Diesmal sei nichts mehr zu retten. Harry fuhr nach Pirna, ich nach Cotta.

Noch im Eindruck des geschehenen erzählte ich am nächsten Morgen meine Erlebnisse freizügig meinen Arbeitskollegen. Mein Oberboss, Prof. Dr.-Ing Flemming, der seinen Arbeitsplatz am Weissen Hirsch hatte, war an diesem Tage zufällig in der Zweigstelle Niedersedlitz. Er hatte von meinen Erzählungen gehört. Ich wurde zu einem Vieraugengespräch geladen. Damals war noch nichts verwanzt. Er riet mir das Thema sofort zu vergessen, und zu erzählen ich wäre am 18.06. auf dem Wohnungsamt gewesen.

Zur Erklärung über die Person Flemming: Er hatte eine Professur an der Forsthochschule in Tharand, war Leiter des Forschungsinstitutes für Holztechnologie und Faserbaustoffe, war von der Ostzonenverwaltung, die sich Regierung nannte, als Held der Arbeit ausgezeichnet worden, war Mitglied der Staatlichen Plankommission und vieles mehr. Insg. ein hochintelligenter Mann. Er hatte einen Dienstwagen mit Fahrer, mit dem er ungehindert nach Westdeutschland fahren konnte, z.B. zu Prof. Kollmann, seinen Gegenpart an der Uni München. Trotzdem konnte ich mit ihm ganz offen und vertrauensvoll über alles reden. Meine Ablehnung zu dem Gebilde das uns regierte war ihm bekannt. Es befindet sich keinerlei Vermerk über Gespräche mit Flemming in meiner Stasiakte. Wahrscheinlich hat ihn nie jemand nach so etwas befragt. Menschen mit geistigen Qualitäten sind als Denunzianten ungeeignet. Die Befragung von Primitivlingen verspricht mehr Erfolg.

Vor und während des Krieges war Flemming Direktor einer großen Möbelfabrik, die beim Angriff auf Dresden zerbombt wurde. In dieser Fabrik gab es sogenannte Möbelpolierer. Ein längst ausgestorbener Beruf. Die Tätigkeit dieser Leute bestand darin, dass sie Wachsbeize mit starken Armen und wenig Hirn in die Oberflächen der Möbel einrieben. Ein solcher Möbelpolierer saß jetzt in Berlin im Ministerium für Leichtindustrie. Wenn im Institut irgendwelche Investitionen getätigt werden sollten, musste Flemming nach Berlin fahren und sich die erforderlichen Gelder von diesem Mann genehmigen lassen. Ich denke das hat ihn nicht sehr erfreut.

Mit meinem direkten Vorgesetzten, der auch mit Einzelvertrag ausgestattet war, habe ich ebenfalls über die Angelegenheit unter vier Augen gesprochen, und später auch noch mal nach meiner Stasiverhaftung. Der sagte mir nur: "Mit unserer Ausbildung steht uns der Westen immer offen". Er ging 6 Monate nach mir in den Westen, und war später bei Krauss Maffei in München Chef der Zellstoffanlagenplanung und damit der Vorgesetzte von Werner Gross. (Erstbegeher der Hiebeler-Gross in der Lalider Nordwand) Solche Leute hatten Profil. Da kamen die Krämerseelen von der Stasi nicht ran! 1961waren die meisten Leute mit Profil bereits im Westen. Da baute man eine Mauer um wenigstes den Rest und die Hiwis noch zu behalten.

Meine Stasiverhaftung erfolgte am 09.03.1954, fünf Tage vor dem 1ten Geburtstag von Matthias. Darüber werde ich später einiges berichten.

Harry Rost, geschrieben 2000

HRost-Web-Titelbild2

updated  02.05.14

deutsch
english

Private Wepage von

Copyright © 2013. All Rights Reserved

Inge und Harry Rost