Bergtouren und Tourenberichte

Episode am Wiessnerriss am Frienstein

 

Es war Ostern 1949 oder 1950. Es war kalt, aber die Sonne schien warm gegen die Südostflanke des Friensteins. Ich entschloss mich deshalb für den Wiessnerriss. Eine schwierige Route, aber immerhin im Sonnenschein. Der überhängende Einstieg wird mittels Steigbaum (auch Baustelle genannt) überwunden. Dabei stellen sich zwei Kameraden aufeinander und der Vorausgehende steigt über diese hinweg um dadurch gangbares Gelände zu erreichen.

Der Anfang lief gut. Als ich schon ziemlich hoch war musste ich leider feststellen, dass in dieser Gegend die linke Risswand mit einer ca.1mm dicken Wassereisschicht überzogen war. Das Weiterklettern wurde hier momentan unmöglich. Man drückt dort nur mit der Handfläche gegen die linke Risswand, während die Schulter gegen die rückwärtige Risskante drückt. Man nutzt die dabei entstehende Reibung und schiebt sich Stück für Stück empor, indem man den Fuß ebenfalls verklemmt, und das Knie abwechselnd anzieht und ausstreckt. An einer vereisten Wand bekommt man aber keine Reibung.

Beim Gedanken an einen Rückzug hatte ich Bedenken wegen der Baustelle, und befragte die Gefährten. Da bot sich mein Freund Gerhard Fleischer, der nur Zuschauer war, spontan an mir mit einem Seil von oben zu helfen. Ich wartete sehr lange, aber das Seil von oben kam nicht. Normalerweise ist der Alte Weg eine Sache von 5 Minuten. Ich schickte irgendwen hinüber zu Gerhard. Der kämpfte ebenfalls mit Wassereis. Ich hatte mich fest verklemmt, aber mir schmerzte inzwischen die rechte Schulter und auch der rechte Arm, der wie steif im Riss klemmte. Meine Position war sehr unkomfortabel. Ich konnte jetzt aber nur noch in der verklemmten Position verharren. Zurückklettern mit dem inzwischen geschwächten Arm betrachtete ich als sehr riskant. Freunde sollten den Gerhard antreiben. Es half nichts.

Eine Schulklasse kam vorbei. Ich rief hinab: "Stellt euch mal dicht zusammen, ich will hier hinab springen". Ich habe das mehrmals gesagt. Die taten es nicht und das war gut so, denn ich wäre natürlich nicht gesprungen. 75 kp aus 20m Höhe, oder etwas mehr, ergibt eine potentielle Energie von 1500 mkp. So blöd bin ich wirklich nicht, dass ich das getan hätte. Ein paar zusammenstehende Personen ergeben da keine wirksame Knautschzone. Außerdem ergibt sich aus solch einer Lage keine vernünftige Absprungposition. Je nachdem was ich zuerst hatte lösen können, wäre ich evtl. kopfüber gestürzt. Es entwickelte sich eine Legende. Wenn man mir diesen Mut zutraute – warum  nicht? Nachgedacht hat wahrscheinlich keiner.

Wenn einer denken kann und von Physik etwas Ahnung hat, muss er an meinem Verstand zweifeln. Wenn man mir nur den Mut zutraut, kann ich es mit einem Schmunzeln hinnehmen, obwohl ich in meine Homepage geschrieben habe: "Helden sind dumm". Aus meiner Lage wäre ich nicht einmal in ein Sprungtuch gesprungen. Das macht man wenn das Haus brennt und verbrennen die einzige Alternative ist. Meine Alternative waren stärkere Schmerzen in Schulter und Arm. Um den Gerhard zu beschleunigen hat der ganze Rummel jedenfalls nicht genutzt.

Irgendwann kam dann das Seil von oben, gleich mit Karabiner. Inzwischen war die linke Risswand weitestgehend abgetaut. Ich hätte es nicht gedacht, aber ich musste nicht gezogen werden. Nachdem ich den rechten Arm etwas ausgeschüttelt hatte konnte ich selber klettern. Nach etwa 1 Meter war es möglich etwas weich gewordenes Eis hinter einer Schuppe herauszukratzen. Die Rille ist so, dass ich mich mit einer Reepschnurschlinge hätte fixieren können, um bequem sitzend auf das Seilende zu warten. Wenn ich es gewusst hätte. Kurz danach weitet sich der Riss und ich konnte hinein schlupfen.

 

Einige Zeit später bin ich den Wiessnerriss bei trockenem Fels gegangen. Es ist gut gelaufen. Hinter die Schuppe habe ich eine Zugschlinge gelegt. Damit ist diese Route gut abgesichert und der nachgeschlagene Ring eigentlich überflüssig. Sehr früh im Jahr sollte man allerdings nicht einsteigen. Die Sonne an der gelben Wand trügt. Das Wassereis bemerkt man erst wenn es zu spät ist.

 

Harry Rost, geschrieben 2011

um die Legende durch eine realistisch Darstellung zu ersetzen

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updated  02.05.14

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