Bergtouren und Tourenberichte

Grosse Zinne  Nordwand

Cimiciroute mit Hindernissen

Die folgenden 2 Berichte von der gleichen Tour wurden auf Wunsch der Redaktion der OeAZ, einer honorarfreien Alpinzeitschrift, irgendwann in der zweiten Haelfte der 80er Jahre geschrieben.

 

Bericht von Harry Rost

Man soll das Verhaengnis in Ehren halten, das zum Schwachen sagt, geh zugrunde. ( Friedrich Nietzsche )

Es war Mitte August 1968. Unser Zelt stand auf der Wiese unter den Zinnen. Wir nuetzten das durch einen Feiertag verlaengerte Wochenende.

Meine Fingerspitzen waren durch die nicht lange zurueckliegende Eiger Nordwand leicht angekratzt. Wie sich an der soeben hinter uns liegenden Demuthkante gezeigt hatte, hinderte das nicht. Der Inge war es auch recht gut gegangen. Wir beschlossen fuer den naechsten Tag die Comici.

Kuehl war es am Morgen. Wir kamen spaet aus dem Zelt. Am Einstieg sahen wir drei Seilschaften vor uns in der Wand. An schwierigen Passagen fuehrte das zu gelegentlichen Staus. Es war die Zeit der Trittleitern. Wenn einer diese Geraete durcheinander brachte, dauerte es allgemein ziemlich lange, bis das Zeug wieder klar war.

Ich selbst ging, von Sachsen her der Freikletterei sehr verbunden, meist so, wie man es heute mit A 0 bezeichnen wuerde. Da musste ich einigermassen schnell gehen, um die Arme zu schonen. Zum Ueberholen reichte es nicht. Inge brauchte die Leitern. Mit dem damaligen Schuhwerk liessen sich kleine Tritte nicht so nutzen wie heute.

Erst kurz nach Mittag lag der kompakte untere Wandteil hinter uns. ( als ich im September 1985 die Route wiederholte, waren wir am Mittag bereits wieder am Auto. So viel ist das Material heute besser, waehrend ich nur aelter wurde.)

Auf dem Band unter der Gipfelschlucht machten wir Brotzeit, waehrend die anderen 3 Seilschaften in der Gipfelschlucht emporstiegen. Vom Gipfel her fiel Nebel ein. Bald waren die Kameraden unseren Blicken entschwunden. Nur die zahlreichen Steine die sie ausloesten, zeigten an dass sie da oben irgendwo kletterten. Ich habe damals in reinen Felstouren keinen Steinschlkaghelm benutzt. Inge als Seilzweite hatte ihren Helm dabei.

Ich wollte warten, bis die Kameraden die Schlucht hinter sich haben. Als am Spaetnachmittag noch immer Steine polterten, beschlossen wir zu biwakieren. Der Platz war gut. Es lief auch Wasser. Was wollten wir mehr. Um den Wetterbericht haben wir uns damals wenig gekuemmert. So waren wir sichtlich ueberrascht, als es in der Nacht zu regnen begann. Mein Sitzplatz erwies sich als nicht sehr guenstig. Er verwandelte sich alsbald in eine Wasserspuelung. Jeder Nacht folgt ein Morgen. In diesem Fall ein ziemlich ungemuetlicher Morgen. Wir brauchten lange bis wir die Haende an den unangenehmen nasskalten Fels brachten. Es ging nicht gerade schnell, aber wir kamen voran. Weit oben, kurz bevor es nach links in den 27 m Quergang geht, war eine mit Geroell gefuellte Hoehlung besonders schmierig, lehmig und glitschig. Ich hatte etwas darueber, links um die Ecke Stand gemacht. Inge kaempfte mit dem Einstieg in die Hoehlung. Ihr rutschten die Fuesse immer wieder weg.

Es hatte inzwischen zu graupeln begonnen. Ich mahnte zur Eile. Inge bat um Seilzug. Da passierte es. Das Seil setzte einen Block, den ich nicht sehen konnte, in Bewegung. Ich hoerte Gepolter und dann Inges Schrei : "Harry, Harry ! " Danach Stille – schreckliche Sekunden und eine furchtbare Erinnerung. So hatte es geklungen, als mein Kamerad Seppel nach einem Volltreffer im Graben vor Budapest zweimal „Bubi" ( so nannten sie mich damals ) schrie. Ich, gluecklicherweise auf der Sonnenseite der Granate, kam mit Verletzungen davon. Den Seppel habe ich nie mehr gesehen.

Ich rief zaghaft, als duerfte ich nichts kaputtmachen, oder als haette ich Angst vor dem Ausbleiben der Antwort : "Inge was ist ?"  "Mir hat's die Haende zerschlagen, ich kann nicht mehr", jammerte sie. Mir blieb nur Seilhilfe uebrig, in der Hoffnung, dass das groebste inzwischen abgeraeumt war. Um den Zug in Grenzen zu halten, schrie ich : "Reiss dich zusammen !" Dann war sie bei mir. Ganz aufgeraeumt berichtete sie, wie der gluecklicherweise sehr morsche Block auf ihrem Helm zerborsten war, und die Splitter ihre Haende zerschlagen hatten. Alles war blutueberstroemt und dreckig.

Genaues war in dieser Situation nicht feststellbar. Um die linke, besonders hergenommene Hand, banden wir ein Taschentuch. Mehr hatten wir nicht dabei. Ich begann den 27 m Quergang, der inzwischen stellenweise mit duennem Wassereis ueberzogen war. Inge konnte das Seil nur nachgeben.

Nun kam fuer Inge die schwierigste Passage. Die vereiste Querung in der Seilhilfe nicht moeglich war, mit den arg laedierten Haenden. Gluecklicherweise steckten einige Haken, so dass sie sich immer wieder von Haken zu Haken retten konnte.

Zuletzt kam ein groesseres Stueck ohne Haken. Sie zoegerte, kletterte hin und her, sagte : "Ich kann nicht mehr", wollte zurueck. Ich sagte :"Wir muessen weiter. Du musst klettern. Je naeher du bist, desto kuerzer der Sturz, und dann hast du es sowieso hinter dir". Sie riss sich zusammen, kam noch ein Stueck. Dann wollte sie zurueck. Ich gab ihr kein Seil. Der Sturz war die Loesung. Sie hing unter mir. Ich konnte sie auf ein kleines Band herablassen. Dann machte ich grosse Sackstiche in eines unsere Seile, in denen sie, mit zusaetzlicher Seilhilfe durch mich, zu mir emporsteigen konnte.

Es schneite seit einiger Zeit. Es wurde grimmig kalt. Es stuermte. Zwei leichte Seillaengen waren es noch bis zum Ringband. Fuer mich wurden sie zum Kampf ums Ueberleben. Vereist, verschneit, ungesichert und mit klammen Fingern. Die Inge habe ich auch heraufgebracht. Der Seilzug hat mir dabei das Blut aus den Fingerspitzen gedrueckt. Unsere Ausruestung war fuer Dolomiten Schoenwetter im August.

Eines der steifgefrorenen Seile haben wir auf dem Ringband abgeschlagen und liegen gelassen. Dann sind wir zur Suedseite uebergewechselt, und haben im Schneetreiben den Abstieg gesucht. Es gab mehrere Verhauer. Es wurde Nacht. Ich wollte in unsere nassen Kleidung kein weiteres Biwak riskieren. Nur Bewegung konnte das Schlimmste verhindern.

Wir sind die ganze Nacht abgeklettert bzw. umhergeirrt. Gegen 04:00 am Morgen erreichten wir unser Auto, dessen Tueren fest zugefroren waren. Auch die Pfuetzen ums Auto waren durchgefroren. Nur mit Hilfe unseres im Zelt stehenden Kochers (damals konnte man gluecklicherweise noch alles ueber mehrere Tage im Zelt stehen lassen) konnten wir uns Eintritt verschaffen.

Kurz vor Franzensfeste kauften wir uns eine Flasche Rotwein. Das Schlechtwetter war vorbei. Im Tal brannte die Sonne ermuedend heiss. Wir kochten Gluehwein um die Durchblutung der angefrorenen Glieder anzuregen. Dann muessen wir eingeschlafen sein.

Gegen 16:00 sind wir im Strassengraben aufgewacht. Beide Tueren unseres VW standen weit offen, und unsere Utensilien lagen weit verstreut umher. ( Das war auf einem kleinen, damals noch nicht asphaltierten Abkuerzer mit wenig Verkehr.) Wir haben schnell alles ins Auto geworfen. Mit schmerzenden Fingern erreichten wir Muenchen. Noch am spaeten Abend suchten wir unseren Freund Karl Herrligkoffer zwecks aerztlicher Versorgung auf.

Inges Behandlung wurde langwierig. Ich bekam neben anderen Medikamenten stuendlich heisse Pernioninbaeder verordnet. Der Arbeit bin ich in solchen Faellen nie fern geblieben. Um beides zu vereinbaren, zumal Karl Bedenken wegen meiner Fingerspitzen geaeussert hatte, nahm ich die Baeder in der Lichtpauserei des Bueros. Die Lichtpauserin, die mir dafuer regelmaessig Wasser heiss machte, fand dazu die Bemerkung : "Ein Glueck, dass sie sich nicht den Arsch erfroren haben".

… folgend der Bericht von Inge

 

Wettersturz in der Comici an der Grossen Zinne

Bericht von Inge Rost

Kuehl war's als wir die Nase aus dem Zelt steckten. Das Aufstehen war fuer mich schon immer der schwierigste Sechser. Die Demuthkante am Vortag war gut gelaufen. Ich war optimistisch.

Wetterbericht abhoeren wie heute, war damals noch nicht ueblich. Entweder es war schoen, wenn wir den Kopf hinaushaengten, oder wir hatten Pech gehabt. Schnell wurde der Kocher angeworfen. Ein Tee zum Fruehstueck, einen fuer die Tour. Als wir am Einstieg ankamen, waren schon drei Seilschaften vor uns. Uebrigens waren wir nie die Schnellsten. Wir konnten sofort einsteigen, denn die Anderen hatten schon abgehoben. Wir kamen gut voran. Nichts aussergewoehnliches, was mir im Gedaechtnis geblieben waere.

Ich denke es war gegen 14:00, als wir das grosse Band unter der Ausstiegsverschneidung erreichten. Wir machten Rast und tranken etwas. Wir merkten, dass die anderen Seilschaften allerhand abraeumten.  Wir besassen nur einen Helm. Harry hatte ihn mir gegeben, weil er meinte, der Seilzweite kann ihn besser gebrauchen.

Was die anderen Seilschaften so herunterschmissen, war uns zuviel ! Wir beschlossen, sitzen zu bleiben und zu biwakieren. Am Morgen waeren wir allein, und keiner wuerde Steine werfen. Das Biwak war anfangs angenehm, wurde aber gegen Morgen kalt und feucht. Es begann zu nieseln.

Ich weckte Harry und trieb zum Aufbruch. Ihm eilte es aber gar nicht. Seillaenge um Seillaenge arbeiteten wir uns dann die nasse Gipfelschlucht empor. Es wurde arg kalt. Auf den Baendern und Griffen bildete sich teilweise ein schwacher Eisueberzug. Nun hiess es Tempo machen.

Harry war am Beginn des 27 m Querganges angekommen, und holte mich nach. Ich hatte grosse Schwierigkeiten in einem eisfilmbehafteten Risstueck, und rief deshalb um etwas Seilzug. Da loesste sich ploetzlich ein Stein, und ehe ich begriffen hatte was los war, hatte ich ihn auch schon auf dem Kopf. Es ging alles sehr schnell. Instinktiv rief ich um Hilfe. Mein naechster Gedanke war : "Ein Glueck dass ich den Hut aufhabe  ".

Der Stein war sehr morsch. Die Haelfte davon lag als Halskrause auf meinem Kragen, der Rest (das waren die groesseren Stuecke) hatten meine Haende erwischt.

Ich hoerte Harry etwas rufen. Ich konnte nur antworten : "Meine Haende, meine Haende". Meine Haende bluteten und schmerzten furchtbar. Harry zog straff an, und so war ich nach kurzer Zeit bei ihm. Er schaute mich an und sagte nur : "Schoene Bescherung".

Wir versuchten den Schaden zu analysieren. Kleine Kratzer am Kinn. Die rechte Hand ging auch so einigermassen. Die linke sah nicht erfreulich aus. Besonders der Zeigefinger hatte eine grosse klaffende Wunde, in deren Grund ich den Knochen sehen konnte.

Es wollte nicht aufhoeren zu bluten. Kein Verbandszeug, keine Handschuhe, Dolomitensommer ! Ich steckte die linke Hand zum Aufwaermen erst einmal in die Hosentasche. Meine Waesche hat sich dann im Lauf der kommende Stunden so richtig mit Blut vollgesogen.

Den 27 m Quergang hatte Harry bald hinter sich. Nun kam ich an die Reihe. Wenn ich nur schon drueben waere, war mein einziger Gedanke. Festhalten konnte ich mich kaum noch. Aus den Griffen rutschte ich heraus. Es war doch alles so glatt und vereist.

Ich wollte zurueck. Harry schrie : "Geh weiter". Er zog kurz am Seil. So ging der Quergang recht schnell. Zweimal schlug ich kraeftig mit der Huefte gegen die Felsen. Danach hing ich etwas tiefer. Zum Glueck befand sich unter meinen Fuessen eine kleine Felsleiste, auf der ich mich etwas entlasten konnte.

Harry fixierte mich an seinem Standhaken. So konnte ich die Haende wieder in die Hosentaschen stecken, waehrend er zahlreiche Sackstiche in mein Seilende knuepfte. Mit Zug stieg ich schliesslich die Leiter empor.

Die Seile waren steif gefroren. Auf dem folgenden, etwas schraegen Gelaende, hatten sich dicke Schneeauflagen gebildet. Die Anoraks waren ebenfalls gefroren und klapperten bei jeder Bewegung. Mich fror embaermlich. Die folgenden Seillaengen wurde ich von Harry mehr emporgezogen als was ich kletterte.

Auf dem Ringband angekommen schnitt mir Harry eines der gefrorenen Seile ab. Er meinte : "Ein Seil reicht fuer den Abstieg, mehr ist nur hinderlich". Ergaenzend sagte er : "Mit Biwak wird heute nichts, wir brauchen Bewegung". Meine Antwort : "Ich will nur hier heraus, wie ist mir egal". Ich sah Harrys Haende, die schauten schlimm aus. Er sagte nichts dazu.

Wir wollten beide aus diesem Dilemma heraus. Da hiess es, alle Unannehmlichkeiten wegstecken. Es wurde dunkel. Markierungen waren unter dem Schnee versteckt. Einen falschen Kamin mussten wir, als wir den Fehler erkannten, wieder hinauf. Irgendwann wurde es besser. Wir glaubten eine Schneeflaeche zu erkennen.

Harry sagte : "Ich habe noch vier Haken, damit muessten wir da hinunterseilen koennen". Im Sachsensitz war das mit unserem vereisten Seil keine Freude. Wir benoetigten nur drei Haken. Dann waren wir auf der Schneeflaeche. Den Rest haben wir einigermassen gut hinter uns gebracht. Als wir die Geroellreisse erreicht hatten, steckte ich die Haende in die Taschen und wollte abfahren. Denkfehle ! Sofort lag ich auf dem Hosenboden und wieder auf der schmerzenden linken Huefte. Das Geroell war fest zusammengefroren, und zusaetzlich mit einer duennen Eisglasur ueberzogen. Vorsichtig humpelte ich zum Zelt, das eine ansehnliche Schneehaube trug. Es war gegen 04:00 am Morgen.

Harry nahm mich in den Arm und sagte : "Mutter das war hart".  Worte auf die ich noch heute stolz bin. Das Wort hart verwendet er sehr selten. Wir hatten es ueberstanden, hatten uns durchgekaempft. Eine Genusstour war es nicht, aber in der Erinnerung ist es ein eindrucksvolles Erlebnis.

Leider hat es meinen linken Zeigefinger staerker erwischt als urspruenglich angenommen. Er musste einige Jahre spaeter versteift werden.

 

Inge Rost, geschrieben ??

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updated  02.05.14

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