Nanga-Parbat 1961

DEUTSCHE  DIAMIR  EXPEDITION  vom 29.04. bis  Juli 1961

29. April 1961. Es war soweit, unser Zug rollte aus dem Hauptbahnhof in Muenchen, den grossen Erlebnissen entgegen. Jeder hat wohl in solchen Momenten seine eigenen Gedanken - wie wird es werden - wird uns die Hoehe bekommen, werden wir den Gipfel erreichen usw. Eines stand schon in Muenchen fest, ganz gleich wie alles ausgeht, es wird ein grosses Erlebnis.

Schon die Anreise war fuer mich eine endlose Kette neuer Eindruecke, die erste Seereise, die erste Bekanntschaft mit Staedten des Orients, die uns fremden Eigenarten und Gebraeuche der Moslems, der erste Flug, und vieles mehr. Ein ganz besonderes Ereignis war der Blick aus dem Flugzeug ueber das unendliche Meer der weissen Gipfel, die zu den hoechsten der Erde gehoeren, und zum Nanga Parbat, unserem Ziel.

19. Mai 1961. 3 Wochen nach unserer Abreise in Muenchen verliessen wir endgueltig die letzten Spuren der Zivilisation. Per Jeep gings von Gilgit durchs Industal zur Bunarbruecke ( 1100 m ). Es war eine tolle Fahrt, bei gluehender Hitze, auf verwegen angelegter, ohne jedes Bindemittel an die Felswaende geklebter Strasse. Um uns alles eine Staubwolke.

Die Bunarbruecke ist eine Haengebruecke am Einfluss des Diamirflusses in den Indus. Ausser der Bruecke gibt es hier nur Sand, Steine und eine gluehende Hitze ohne Wind und Schatten. Wir hatten das Beduerfnis hier moeglichst schnell wegzukommen, doch leider ging es nicht so. Unser Begleitoffizier sagte, nach einer neuen Regierungsverordnung duerften die Kulis nur noch 46 englische Pfund tragen, unsere Lasten waren aber auf 28 - 30 kg abgepackt. Zum Umpacken fehlten uns die noetigen Kisten. Es wurde hin und her gewogen, die Kulis meuterten und die Zeit verging. Da kam unser Rudl Marek auf eine glaenzende Idee, er erfand einen neuen Umrechnungskurs : 30 kg = 46 englische Pfund. Nun gings dahin. Die Kulis konnten ihre Lasten mit unserer, die Kilo anzeigenden Waage, selbst nachpruefen und bald setzte sich die Kolonne in Bewegung.

Das Diamirtal ist eine Furche des Gletscherbaches, zwischen Felsen und erhaerteten Moraenenruecken eingeschnitten. Man muss sich wundern, dass da oben ab und zu noch Menschen leben, und fragt sich, wie hat es sie bzw. ihre Vorfahren dahin verschlagen. Zunaechst marschiert man stundenlang ueber Geroell und es ist nicht abzusehen, dass da ueberhaupt noch etwas kommt. Dann ploetzlich sieht man einen kleinen, kuenstlich bewaesserten gruenen Flecken - eine Ortschaft - und dann geht es wieder stundenlang ueber Geroell. In groesseren Hoehen nimmt die Vegetation wieder etwas zu. Das Los der Menschen hier ist sehr hart, aber ich hatte das Gefuehl, sie sind trotzdem gluecklich, gluecklich weil sie es nicht anders kennen.

Die Diamirflanke wurde vor uns durch den Englaender Mummery im Jahre 1895, und durch die kleine Expedition von Aufschnaiter, Harrer, Lobbenhofer und Chicken angegangen. Wir waren also erst die Dritten, die ins Diamirtal zogen. Expeditionen sind hier noch etwas sehr seltenes. Die Bewohner wussten diese aussergewoehnliche Verdienstmoeglichkeit zu schaetzen indem sie uns beim Anmarsch seitlich aus dem Tal heraus, ueber einen Pass hinweg und weiter oben wieder ins Tal hineinfuehrten. Zwei Tage = 12 Rupien haben sie dabei immerhin herausgeschunden. Es sind rauhe, kernige Burschen, meist arg verschmutzt und mit einem grossen Hang zum Betteln, aber sonst groesstenteils recht gutmuetig und hilfsbereit; letzteres wahrscheinlich teilweise in der stillen Hoffnung, auf diese Art noch etwas erben zu koennen.

Bezeichnend ist, dass uns in Halala, einer Ortschaft die wir passierten, ein Schreiben von Lobbenhoffer aus dem Jahre 1939 und in Diamirei ein solches von Aufschnaiter gezeigt wurde. Die Leute haben diese Briefe sorgsam gehuetet, obwohl sie selbige nicht lesen koennen.

In der Zeit vom 24. bis 28. Mai errichteten wir unser Hauptlager, so wie jeweils die Traeger eintrafen, unweit des Lagerplatzes der Expedition von 1939, den wir an den Resten eines Steinwalls und einigen leeren Keksdosen erkannten, in 4200 m Hoehe vor der grossartigen Kulisse der Diamirflanke mit ihren in silbrigen Weiss glaenzenden Firnflaechen und den blaeulich schimmernden, weit hervorspringenden Eiswuelsten. Eine herrliche Flanke, steile Felsrippen, stark mit Eis gepanzert, und gleich daneben, fast noch imposanter die Flanken des Mazeno Pik, riesige, fast senkrechte Verschneidungen, unersteigbar, der Fels kahl und jeweils im oberen Ende grosse Eisnasen frei haengend im Winkel verkeilt, von denen sich von Zeit zu Zeit tonnenschwere Brocken loesten, um mit lauten Krach herabzustuerzen, sich spaeter als Lawine ueber den flachen Gletscher ergiessend. Noch waehrend das Hauptlager ausgebaut wurde, begann der erste Vorstoss zur Flanke.

Am 28. Mai bestimmten wir den Platz fuer ein vorgeschobenes Zwischendepot auf einem Moraenenruecken ( 4300 m ). In den folgenden Tagen schleppten Traeger einen Teil unserer Lasten nach dort, waehrend wir uns mit Erkundigungen und der Festlegung der voraussichtlichen Route befassten. Tiefer Schnee hemmte in diesen Tagen unser Vordringen und erschwerte vieles.

Wir entschlossen uns fuer eine steile Eisrinne, welche zwischen Mummerysporn und dem 1939 versuchten Pfeiler liegt. Diese Rinne stellt zwar nicht die technisch leichteste Moeglichkeit dar, doch die objektiven Gefahren sind hier durch mehrfache Unterbrechungen stark herabgesetzt.

Am 30. Mai spurten wir zwischen Gletscherbruechen hindurch zu einem durch einen Wandabbruch gegen Lawinen geschuetzten kleinen Absatz ( 5000 m ) empor, auf dem wir dann am 1. Juni die Zelte des Lagers 1 aufbauten.
Den Weiterweg von hier bildete eine steile Eisrinne, welche zusammen mit der sie am oberen Ende begrenzenden Wand, die Hauptschwierigkeiten des Anstieges in sich birgt. Um den Traegern den Aufstieg durch diese zu ermoeglichen, und gleichzeitig fuer uns den Rueckzug zu sichern, mussten wir sie ausbauen. Es war eine harte Arbeit, die uns fuer Tage in Anspruch nahm. Feste Seile wurden angebracht, Haken und Stufen geschlagen. Der nachmittags bei groesserer Erwaermung einsetzende Steinschlag zerschlug und beschaedigte uns mehrfach die fixen Seile, so dass wir uns letzten Endes entschlossen, diese an den besonders gefaehrdeten Stellen durch 5 mm Stahlseile zu verstaerken. Es war ein schwerer Entschluss. 600 m Hanfseil und 900 m Treviraseil hatten wir bereits verarbeitet - nun sollten noch 700 m Stahlseil hinzukommern. Nochmals begann die Arbeit, harte zeitraubende Arbeit, und eine ganz ordentliche Schinderei nebenbei. Sicherheitshalber haben wir es getan, und beim Rueckzug waren wir recht froh darum.

Endlich war es dann soweit; die Rinne war bis zu ihrem Ende unter der Wand praepariert. Am 9. Juni gingen wir 4 Juengeren mit 3 Hunzas und allerhand Last durch die Rinne, Joerg Lehne und Siggi Loew blieben oben und errichteten Lager Adlerhorst, waehrend Toni Kinshofer und ich die Traeger zurueckbrachten. Etwas war geschafft, ein Zelt stand oben in etwa 5900 m Hoehe.

Lager Adlerhorst war nur ein kleines 2 Mann Zelt auf einem ebenso kleinem Felsvorsprung unter einer senkrechten Wand. Von hier aus konnten wir die Lasten nur am Seil ueber die Wand emporziehen ( fuer einen Lastentransport auf dem Ruecken ist die Wand ungeeignet ) und das Zelt war nur fuer den Mann gedacht, der die Lasten anbindet und von der Wand abzieht.

Einige Tage spaeter wurde Lager 2 in etwa 6000 m Hoehe oberhalb der Wand am Grat errichtet. Der Lastentransport war in vollem Fluss, alle arbeiteten eifrig, und am Morgen des 19. Juni brachen wir, fuenf Mann und zwei Hunzas, mit Ausruestung und Verpflegung in Lager 2 auf, um Lager 3 zu errichten. Den Steinschlaghelm hatten wir bereits abgelegt, der war oberhalb Lager 2 nicht mehr noetig. Trotzdem - kurz unterhalb des Lagers 3 steilte sich das Eis noch ein letztes Mal auf, und nochmals mussten 300 m Gelaenderseil angebracht werden. In etwa 6800 m stellten wir ein Zelt auf, welches von Toni, Joerg und Siggi bezogen wurde, waehrend wir anderen  wieder nach Lager 2 zurueckgingen, um weiter Verpflegung heraufzuholen. Wir alle waren siegessicher.

Am naechsten Tag wurde uns die Ankunft des Monsuns in 5 Tagen gemeldet. Jetzt war Eile geboten, wir hatten mit Anfang Juli gerechnet. Wir zogen weiter Verpflegung von Lager Adlerhorst herauf, waehrend sich die Kameraden in Lager 3 zum ersten Gipfelvorstoss in Bewegung setzten. In der Nacht schlug das Wetter um, es setzte Schneesturm ein. Die Kameraden die in etwa 7150 m biwakierten, mussten zurueck, auch wir konnten am Morgen nicht nach Lager 3 spuren, der viele Neuschnee machte es unmoeglich, die Traeger weigerten sich. Wenige Stunden hellte es auf, dann setzte von neuem Schneesturm ein und heulte die ganze Nacht. Damit war eigentlich alles schon entschieden. Die Verpflegung war durch die schwierigen Transportverhaeltnisse in der Rinne nicht besonders reichlich, die Zeit bis zum Monsum war knapp und die Verhaeltnisse am Berg schlecht. Zwar gingen die Ansichten ueber die Umkehr zunaechst noch etwas auseinander, es ist schwer, so etwas hart Erkaempftes nahe dem Erfolg aufzugeben, doch der Rueckzug war unvermeidlich. Das Schlechtwetter ging dann unmittelbar in den Monsun ueber, und als wir am 25. Juni das Hauptlager erreichten, lag dort tiefer Neuschnee.

Wir haben zwei unserer Aufgaben loesen koennen :
1. Einen Durchstieg durch die abweisende Diamirflanke zu entdecken und
2. Die Wand auf dieser Route bis zu ihrem hoechsten Punkt zu durchsteigen.

Schlechtwettereinbruch vereitelte unseren Angriff zum Gipfel - nur wenige Stunden trennten uns davon. Trotzdem kehrten wir beglueckt ueber unseren Erfolg an diesem, von vielen Kennern undurchsteigbar gehaltenem Westabsturz des Nanga Parbat, in die Heimat zurueck.

Ich werde es nie bereuen, dabei gewesen zu sein. Wir haben uns manchmal, ehrlich gesagt, ganz ordentlich geschunden, aber wir haben auch viel, sehr viel erlebt und gesehen. Alles lief in bester Harmonie und Kameradschaft ab und war bestens organisiert durch unseren Expeditionsleiter Dr. Herrligkoffer, der vor allem uns juengeren Bergsteigern damit das groesste Erlebnis unseres bisherigen Lebens schenkte.

Wir sind allen dankbar die uns geholfen haben, und ich moechte mich bei dieser Gelegenheit besonders fuer die Unterstuetzung durch den OEAK und durch unseren Freund Fritz Wiessner bedanken.

Harry Rost, geschrieben August 1961
 

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updated  02.05.14

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