Bergsteigen - ein Ausdruck von Freiheit

Gedanken zum Bergsteigen

Bergsteigen ist sehr vielseitig. Natur, frische Luft, körperliche Betätigung, Freude am Erlebnis, Kameradschaft und Sport sind nur einige Begriffe, die mit dem Bergsteigen in Verbindung gebracht werden. Den meisten Bergsteigern dürften mehrere dieser Begriffe als Antrieb für ihr Tun gelten. Für mich ist das Bergsteigen vorwiegend mit dem Begriff der indi-viduellen Freiheit verbunden. Es wurde damit auch zu einem wesent- lichen Bestandteil meiner Lebensauffassung.

Nach mehr als 50 vorwiegend aktiven Bergjahren - so meine ich - lohnt es sich, einmal über diese unnütze Betätigung nachzudenken. Hat es sich eigentlich gelohnt? Was habe ich aufgewendet? Viel Zeit und viel Geld. Von der gelegentlichen Schinderei ganz abgesehen. Was habe ich dafür bekommen? Freude, Erlebnis und vor allem das nicht überbietbare Hochgefühl der großen Freiheit. Was ist mir geblieben? Erinnerung, Gesundheit und das Bewusstsein einen guten Weg gegangen zu sein, Freiheit gesucht und gefunden zu haben. Alles "nur" ideelle Werte. Dennoch, es hat sich gelohnt. Es wird sich auch in Zukunft lohnen. In der für mich absehbaren Zukunft.

Was ist nun diese Freiheit? Ist es Unabhängigkeit? Ja - auch. Die Berge waren Freiraum. Jetzt sind sie noch bedingter Freiraum. Wir können unsere Lücke noch finden und finden sie. Mir wird es noch reichen.

Niemanden und zu nichts verpflichtet zu sein, ist auch ein Stück Freiheit. Die kleine Verpflichtung zur gesunden Heimkehr (nicht zum Gipfelerfolg) nimmt man gegenüber dem Seilgefährten und auch im eigenen Interesse gern in Kauf.

Der wesentliche Teil der Freiheit ist aber die Freiheit zu "gewichtigen" Entscheidungen. Eine Freiheit die in unserer dicht gedrängten Lebens- weise durchaus keine Selbstverständlichkeit ist.

Im gesellschaftlichen Zusammenleben ist es sogar erforderlich, dass es Diese Freiheit oftmals nicht gibt. (Hier ist der Kompromiss das Gebot der Zeit.) Da wo sich einer diese Freiheit anmasst, wird sie anderen entzogen.

Das Bergsteigen bietet den Ausgleich. Bietet es ihn wirklich und immer? Es kommt auf den Einzelnen und seine persönliche Einstellung an.

Was sind nun diese Entscheidungen beim Bergsteigen? Ist es die Routenwahl? Ist es die Auswahl des Gefährten? Ist es die Auswahl der Standplätze? Die Entscheidung zur rechtzeitigen Umkehr? Auch - auch.

Die Entscheidungspalette ist viel grösser. Bergsteigen ist eine ständige Folge gewichtiger Entscheidungen. Jeder Griff, jeder Tritt, ist eine Entscheidung. Oft eine sehr wichtige Entscheidung. Wir denken nur in der Routine des Gehens nicht ständig darüber nach.

Woran misst sich der Wert einer Entscheidung? Doch wohl immer daran, welchen Preis eine Fehlentscheidung hat. Beim Extrembergsteigen ist dieser Gegenwert - der höchste Wert den wir haben - das eigene Le- ben. Es gibt keinen höheren Wert. Je weiter der Abstand zur letzten Zwischensicherung, desto hochwertiger ist die Entscheidung. Überlegte Risikobereitschaft steigert das Erlebnis. (Eine gewisse Portion lebenserhaltender Angst gehört dazu.)
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Auch hier wieder die durch nichts eingegrenzte Freiheit der Entscheidung. Jeder kann seine Sicherungsmittel nach eigenem Ermessen beschränken oder auch nicht. Ist das nicht schön? Mich freut jede ausgelassene Zwischensicherungsmöglichkeit. Wenn es mal nicht so gut läuft, wird der Sicherungsabstand verkürzt. Wenn's noch schlechter läuft, wird umgekehrt. So einfach ist das.

Letztendlich ist jeder Bergunfall selbst verschuldet. Niemand wird gezwungen, da hinaufzusteigen. Ich liebe dieses Leben, das mich so glücklich macht. Es gibt nichts Schöneres. Bergsteigen braucht keinen Wettkampf, keine Schiedsrichter, keine Arena, keine Vordenker, keine Macher und kein Training. Es braucht die Erlebnisfähigkeit des Einzelnen.

Für meine Begriffe führt die Zweierseilschaft (oder der Alleingang) in den grossen Kombitouren, zur (im Verhältnis zum Aufwand) intensivsten Form des Bergerlebens, zur grossen Häufung wichtiger Entscheidungen.

Expeditionsbergsteigen
Beim Expeditionsbergsteigen muss der Bergsteiger zwangsläufig einen Teil seiner Entscheidungen an die Gemeinschaft abgeben. So, wie das immer ist, wenn mehrere Menschen etwas gemeinsames unternehmen. Hier ist nicht die Freude an der unnützen Betätigung, sondern der gemeinsame Erfolg das Ziel. Jeder wird seinem Charakter entsprechend entscheiden, welches Spiel er spielen will. Bergsteigen hat viele Spielarten.

Sportklettern
Das sogenannte Sportklettern ist eine Spielart, die näher beim Turnen liegt als beim Bergsteigen. Obwohl es einige gemeinsame Merkmale - wie z.B. die Verwendung von Seilen zur Sicherung gibt ist die Einstellung zur Sache grundverschieden.

Man sucht die Schwierigkeit bei möglichst perfekter Absicherung. Absolut sichere Bohrhaken werden oft in solchen Abständen angebracht, dass man sich einen Absprung unbeschadet leisten kann. (Alleingänge sind die Ausnahme und zum Teil vorher einstudiert.) Hier dominiert nicht die risikobehaftete Entscheidung. Die turnerische Leistung ist der Zweck der Übung. Man nimmt die Selbstquälerei des Trainings in Kauf, um Höchstleistungen zu erzielen. Die Wand wird zum Klettergerüst.

ch will das nicht abwerten, will nur den Unterschied herausstellen. Ich betreibe - in den Grenzen die mir Freude bereiten -  auch diese Spielart.

Meinen diesbezüglichen Bedarf bezeichne ich allerdings als Mittelgebirgskletterei. Den Begriff Sport liebe ich nicht. Er riecht mir zu sehr nach Reglementierung, Wettbewerb, Funktionären und gelegentlich auch Kommerz.

Es ist schade, dass die Sportkletterei aufgrund des Wettbewerbscharakters von zahlreichen unnützen Streitereien (z.B. Magnesia, Haken von oben oder unten usw.) begleitet wurde, oder noch wird. Aber ein grosser Teil der sog. Sportkletter sind nach meiner Lesart eigentlich Mittelgebirgskletterer. Sie haben ihre Lust am unnützen Tun und in der Freude am Erreichten, in der Selbstbestätigung oder was auch immer. Ihr Wettbewerb ist Wettbewerb mit sich selbst. Hier zeigt sich eine Parallele zum Alpinisten.

Will hier nicht alle Spielarten der Betätigung im Gebirge charakterisieren. Es gibt noch viele, und ich habe vielerorts mal hineingeschnuppert. Meinem Charakter entsprechend habe ich das klassische Bergsteigen, den Alpinismus, zu meinem Hauptanliegen gemacht.

Profibergsteigen
Da habe ich nicht hineingeschnuppert. Eigentlich gehört das mehr zum Showgeschäft als zum Bergsteigen. Die Interessenlage der Profis bildet Zwänge. Die Grundsatzentscheidungen werden der Rentabilität angepasst, wie das bei jeder auf Profit ausgerichteten Unternehmung ist.

Die "besten" Kletterer werden zwangsläufig in Zukunft die Profis sein.

Ich glaube die Bergsteigerklubs wären gut beraten, wenn man Geist und Charakter höher bewertet als Schwierigkeitsgrade. Letztendlich liegt doch der Wert des Bergsteigens im Erlebnis und im Freiheitsgefühl.
Profis brauchen keine Klubs, sie brauchen Sponsoren. (Ähnliches gilt für Alle anderen Formen der Gebirgsvermarktung.)

Harry Rost, geschrieben 1990

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updated  02.05.14

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